Nukleus
das von Kornack, das nach seinem Angriff auf Hagen auch verschwunden war …«
»Ja?«, unterbrach Abdallah sie schnell.
»Der Rettungsassistent, der mir zugeteilt worden ist, als wir zu Kornack in die Wohnung gefahren sind … Sascha …«
»Ja?« Etwas lauter.
»Haben Sie ihn überprüft? Er war … er wirkte irgendwie verändert nach dem, was in der Wohnung passiert war, und er hat mir mit einem ziemlich seltsamen Gesichtsausdruck nachgesehen, als Sie mit mir weggefahren sind …«
»Was für ein Gesichtsausdruck?«
Eine neuerliche Windböe traf sie und nahm ihr für einen Moment den Atem. »Ich sage ja nur, dass mir sein komisches Verhalten wieder eingefallen ist, als Dr. Auster mir am Telefon gesagt hat, er hätte sich in der Klinik nach mir erkundigt … Sascha, meine ich … Es könnte ja sein, dass er …«
»Er ist verschwunden«, sagte Abdallah und kaute etwas schneller. »Wir haben sein ganzes Apartment auf den Kopf gestellt, aber nichts gefunden, kein Telefon, keinen Computer, überhaupt nichts, was uns weiterhelfen könnte.«
Ella glaubte, einen besorgten Ton in seiner Stimme zu vernehmen. »Was haben Sie gefunden?«, fragte sie. »Sie verheimlichen mir etwas. Was ist es?«
Er antwortete nicht, hielt sogar mit dem Kauen inne, als würde sie dann nicht auf einer Antwort beharren.
»Was haben Sie gefunden?«, fragte sie noch einmal und versuchte sich vorzustellen, was er vor sich sah, und dann wusste sie es plötzlich. »Die Handys! Sie haben mich angelogen. Sie haben die Handys doch gefunden.«
»Ich bin nicht befugt, Ihnen Einblick in den Stand der Ermittlungen zu geben«, sagte er leise.
»Seit wann?«, fragte Ella. »Seit wann kommen Sie mir mit diesem Ermittlungsquatsch? Es geht mich doch etwas an, oder nicht? Mein Leben hängt vielleicht davon ab …«
»Nur eins. Nur ein Handy.«
»Welches?«
»Wir denken, es ist das von diesem Militärseelsorger aus Afghanistan – Scharnhorst.«
»Was ist darauf gespeichert?«
»Wie kommen Sie darauf, dass da etwas gespeichert sein …«
»Was haben Sie darauf entdeckt?«
»Das möchte ich Ihnen lieber nicht sagen. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Es ist besser, wenn Sie es nicht …«
»Was?«
Er holte tief Luft, aber es klang merkwürdig gepresst. »Also gut, aber ich habe Sie gewarnt …« Wieder donnerte ein Zug über die Stahlbrücken des Bahnhofs, und der Lärm verschluckte Abdallahs Worte. Ella hörte nur noch: »… lassen es im Labor von den Technikern untersuchen.«
»Was haben Sie gesagt? Ich habe Sie nicht …«
»Es scheint sich von innen in das halb geschmolzene Display gebrannt zu haben«, Abdallahs Stimme wurde schwächer, »so ähnlich wie … so wie das Turiner Grabtuch angeblich das Gesicht von Jesus Christus zeigt …«
»Hallo?« Der Wind fuhr Ella wieder ins Haar und über den Nacken wie eine kalte Hand. »Abdallah!«
»Ich kann sie kaum noch verstehen«, rief der Kommissar. »Ich glaube, es ist am besten …«
»Sie müssen Sascha suchen!« Ella schrie gegen den Wind an. »Zur Fahndung ausschreiben. Es kann sein, dass er einen Anschlag plant. Wir sind hier in London einer Art von Verschwörung auf der …«
»Einer Art von Verschwörung?«
»Ich weiß, wie sich das anhört, aber es ist wichtig, dass Sie alle Kliniken überwachen und Dr. Auster informieren …«
»Dr. Auster ist …« Ein Knacken, dann war die Leitung tot. Ella drückte die Rückruftaste, aber nichts geschah, kein Freizeichen, kein Knacken oder Knistern, nur Stille.
»Mit wem haben Sie gesprochen?«, fragte Cassidy, als Ella wieder in den Rover stieg und sich das verwehte Haar aus dem Gesicht strich, ohne dabei das Handy loszulassen. Sie starrte das Display an, eine schwarze, leere Fläche mit ein paar Fingerabdrücken darauf. Sie fühlte sich wie jemand, der allein auf einer Eisscholle aufs offene Meer hin austrieb, weiter und weiter, fort von der sicheren Küste, die allmählich in der Nacht versank. »Wie bitte?«
»Mit wem Sie gesprochen haben!«, wiederholte Cassidy, schien aber an der Antwort nicht wirklich interessiert zu sein. Die kleine Whiskeyflasche lag leer zwischen den Vordersitzen, und er ließ den Kopf zurücksinken gegen die Nackenstütze. »Woher kommt all diese Wut?«, fragte er. »Der ganze Schmerz, woher kommt der?«
»Bei Ihnen?«, fragte Ella. »Oder bei mir?«
»Bei denen, die das Internet als Ventil benutzen«, sagte er. »Wer hat dieses Klima der Hilflosigkeit geschaffen, in dem all die negativen Gefühle, die ganzen
Weitere Kostenlose Bücher