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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Denken Sie an Abraham, einen guten Menschen, der bereit war, etwas Böses zu tun – seinen einzigen Sohn Isaak zu töten –, weil sein Gott, für ihn das Gute schlechthin, es von ihm verlangte. Alles, was man dazu tun muss, ist, den Menschen in dem Glauben zu wiegen, dass das Böse gut ist, wenn es im Namen des Guten geschieht, bis er keinen Unterschied mehr zwischen Gut und Böse erkennen kann.«
    »Kommen Sie zum Punkt«, fauchte Cassidy. »Dr. Jansen und Colin Blain!«
    »Das ist der Punkt«, sagte Gershenson. »Blain hat ihr erzählt, dass LifeBook zum Instrument des …«, er hielt inne, als suchte er nach dem richtigen Ausdruck, »nun, des Bösen geworden ist. Dass jemand es benutzt, um verzweifelte Menschen zu Mördern zu machen. Und da ist ihr diese Passage in meinem Buch wieder eingefallen.«
    »Hat Blain auch gesagt, wer dieser Jemand ist?«, fragte Ella.
    »Ja.«
    »Und wer?«
    Gershenson zögerte nicht eine Sekunde. »Der Teufel.«
    » Der Teufel?« Ella beugte sich vor, um ihn besser verstehen zu können. »Nicht ein Teufel?«
    »Nein. Der Teufel. Satan.«
    »Das ist doch Blödsinn. Es gibt keinen Teufel.«
    Der Professor musste gegen das Heulen des Windes im Stahlgestänge der Eisenbahnbrücke anschreien. »Vielleicht gibt es ihn nicht als Teufel, wie wir ihn uns vorstellen. Wie Kirche und Kunst ihn uns beschrieben haben. Als mythische Gestalt. Aber diese Vorstellung ist ja nur eine Verkörperung des Bösen, und dass es das Böse gibt, werden Sie wohl nicht bezweifeln. Haben Sie noch nie gehört, wie jemand über einen anderen sagte: »Er ist der Teufel in Menschengestalt?«
    Er blickte Cassidy an. »Sie, zum Beispiel, Mr. Cassidy, waren für Dr. Jansen ab einem bestimmten Punkt so ein Teufel in Menschengestalt, denn sie glaubte, dass das Böse Sie benutzt hätte, um ihr zu schaden. Ich habe ihr gesagt, dass Sie mit ziemlicher Sicherheit nur ein ganz normaler Scheißkerl wären, der gerne Frauen schlägt. Aber seit sie im Krankenhaus aus dem Koma erwacht war, dachte sie, etwas wäre von Ihnen in sie gefahren.«
    Ella spürte, wie sich die Haut unter ihrem Nacken zusammenzog. »Annika hätte nie an so was wie den Teufel geglaubt. Nie.«
    »Vielleicht nicht die Annika, die Sie kannten«, rief Gershenson kurzatmig. »Vor ihrer Erkrankung. Und selbst wenn diese … diese Idee der Besessenheit eine Wahnvorstellung war, hatte sie doch für sie phasenweise eine bedrückende Realität, gegen die sie bis zur Erschöpfung angekämpft hat. Sie konnte ja mit niemandem darüber reden, jeder hätte sie für wahnsinnig gehalten. Ich habe versucht, mit ihr daran zu arbeiten, sie davon zu überzeugen, dass sie die Ursache und Umstände ihrer Krankheit falsch interpretiere. Aber sie hat trotzdem den Kontakt zu jedem abgebrochen, der ihr etwas bedeutete, am Ende auch zu mir. Sie hat es ohne ein Wort der Erklärung getan, von heute auf morgen, oder mit Gründen, die sie sich aus den Fingern gesogen hat. Erst als – wie sie es sah – der Teufel anfing, sich die Menschen zu holen, die ihr am nächsten standen, etwa ihren Bruder Max, der sich von ihr nicht in die Verbannung schicken ließ, hat sie die eigene Quarantäne verlassen, um Ihnen, Dr. Bach, beizustehen, ihrer besten Freundin. Aber ich wette, vom Teufel hat sie Ihnen nichts erzählt, oder?«
    »Nein, nur dass sie müde wäre. Erschöpft.«
    »Ja, es hat sie ihre gesamte Kraft gekostet, ihn in sich in Schach zu halten, mit der Arbeit, mit ihren Patienten und LifeBook. Deswegen war sie so ungeheuer wütend über das, was Blain in seiner letzten Stunde bei ihr erzählt hat, weil es alles bestätigte, was sie befürchtete. Ich habe versucht, es ihr auszureden, sie zu beruhigen. Schließlich kam es doch von einem Patienten, einem aggressiven, zwanghaften bipolaren Künstler. Aber es hat ihr keine Ruhe gelassen, und schließlich hat sie ihn noch einmal aufgesucht.«
    »Annika ist zu Blain nach Hause gegangen?«, fragte Ella verblüfft.
    »Wahrscheinlich wollte sie wissen, wen sich der Teufel an meiner Stelle ausgesucht hat, um seinen rechtmäßigen Platz unter den Menschen einzunehmen«, vermutete Cassidy mit einem gereizten Schnauben.
    »Sie wollte ganz sichergehen, dass sie ihn richtig verstanden hatte«, sagte Gershenson.
    »Und? Hat sie?«
    »Ich weiß es nicht.« Der Professor schüttelte den Kopf. »Ich habe sie danach nicht mehr wiedergesehen. Sie hat sich nie mehr bei mir gemeldet und auf meine Anrufe nicht reagiert.«
    »Haben Sie vielleicht einen Verdacht?«

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