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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Licht getaucht sind. Sie wissen daher nicht, wen der Wärter gerade beobachtet. Die Idee war, dass aus dieser Unsicherheit heraus die Gefangenen selbst die Aufgabe der Wärter übernehmen und sich gegenseitig überwachen, damit nicht das Fehlverhalten eines Einzelnen eine kollektive Bestrafung nach sich zieht. Wenn unser … mein Programm erst ausgereift ist, wird das gesamte Netz zu einem solchen Panoptikum aus den Daten der gesamten Netzgemeinde, die sich gegenseitig kontrolliert und darauf achtet, dass alle sich an die verordneten Re geln halten, während ich in der Mitte des Netzes sitze und die unsicht bare Kontrolle ausübe.«
    Und ich bestimme, wer lebt und wer stirbt. Von wem der, der stirbt, getötet wird. Wenn ich wahnsinnig bin. Oder wenn jemand in mich gefahren ist, der mich benutzt, weil er keine Gestalt hat, keinen Körper.

5 6
    Je länger Ella Gershenson zuhörte, eingeschlossen in dieser Gondel über der Stadt, desto stärker wurde ihr Gefühl, etwas Schrecklichem ausgesetzt zu sein – einer Kälte, die so absolut war, dass es sich nur um die Kälte des Weltalls handeln konnte.
    »Aber was«, fragte sie, »was passiert, wenn Ihr Kandidat trotz allem, trotz all Ihrer Daten und Zahlen und Berechnungen doch nicht auf seine neuen Freunde hören will? Wenn sein freier Wille ihn davon überzeugt, dass es besser ist, zu leben und leben zu lassen? Oder wenn er erkennt, was für ein Spiel mit ihm getrieben wird?«
    »Dann muss ich den Spieß umdrehen und ihn unter Druck setzen«, sagte Gershenson mit aufrichtig wirkendem Bedauern. »Wenn ich alles über dich weiß, wenn ich alle deine Schwächen kenne, spiele ich mit dir, treibe dich in die Enge, drohe dir, dich öffentlich zu demütigen, male dir aus, was dann passiert – und tue es. Ich entfessele einen elektronischen Tornado, Mails, Tweets, Clips auf YouTube. Ich und meine Trolle – unendlich viele Trolle, keiner davon existiert wirklich –, wir mobben dich, wir treiben dich weiter und weiter, und mit jedem Schritt verrätst du mir neue Wege, dich zu quälen, ich demütige dich so oft und für alle sichtbar, bis du keinen anderen Weg mehr siehst, als dich umzubringen. Bis dein Hass auf mich und alle anderen so groß ist, dass du möglichst viele von uns mitnehmen willst. Und dann tust du doch, was ich will!«
    Inzwischen hatte das Rad seine Umdrehung fast vollendet, und der Widerschein der blau angestrahlten Rampe erfüllte die Gondel. Ella sah, dass mehrere uniformierte Sicherheitsbeamte zu ihnen hochstarrten, ein oder zwei davon mit gezogenen Waffen.
    »Aber Hochleistungscomputer mit einer derartigen Rechenkapazität hat doch keine Privatperson!«, wandte sie ein.
    »Nein, aber Behörden und große Firmen. Börsen. Hedgefonds. Zuerst half mir die Deutsche Botschaft, doch als deren IT-Fachleute – wie Mr. Wagenbach – misstrauisch wurden, sprangen Geheimdienste mit ihren Rechnern ein, BND, MI5 und MI6.«
    Ella sagte: »Und wenn Sie hundert Affen an hundert Computer setzen, hätten Sie am Ende wahrscheinlich genau so ein Programm mit genau so einer Trefferquote. Und vor Millionen anderer Computer bringen drei andere Affen sich um und zwei davon richten dabei ein Gemetzel unter ihren Stammesangehörigen an.«
    Gershenson starrte sie entgeistert an. »Was soll das heißen?«
    »Das soll heißen«, antwortete Ella, »dass Sie nicht halb so intelligent sind, wie Sie uns glauben machen wollen, und dass Ihr Programm nicht halb so erfolgreich ist, wie Sie sich selbst und Ihren Freunden bei den Geheimdiensten einreden. Die große Frage ist doch, o b das, was Sie uns da gerade erzählt haben, überhaupt belastbare Realität ist. Ob es tatsächlich funktioniert, weil Sie es so geschrieben haben – oder ob es nur rein zufällig so aussieht, als würde es funktionieren. Ich glaube nämlich nicht, dass es das tut. Wenn man es genau betrachtet, sieht es für mich eher so aus, als wäre alles, was Sie als Erfolg verbuchen, auch ohne Ihr Programm von denselben Tätern verübt worden und als hätten all die Anschläge, die erfolgreich waren, gescheitert sind oder gar nicht erst durchgeführt wurden, genau denselben Verlauf genommen. Ich glaube, es handelt sich nur um einen Spuk, der auch unabhängig von Ihrem ganzen Netzwerk-Hokuspokus passiert wäre.«
    »Nein, nein, das Programm ist korrekt, es funktioniert, es ist nur noch etwas unvollständig …«
    »Dann verraten Sie mir doch mal, was Sie überhaupt für ein Ziel verfolgen?«, schaltete Cassidy sich ein. »Wie

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