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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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etwas sah, was keiner von den anderen bemerkte. Die Hand, in der Annika die Granate hielt, zitterte so heftig, dass sie das Gelenk mit der anderen umklam mern musste. Das Zittern breitete sich durch ihren ganzen Körper aus.
    »Achtung!«, schrie Ella. »Sie hat einen Anfall!«
    Die Schockstarre dauerte nur eine Sekunde, danach geschah alles gleichzeitig: Oliver stürzte auf Annika zu und hielt dabei sein Handy auf sie gerichtet, vielleicht um sie zu filmen, vielleicht aber auch, um ihr zu zeigen, was auf dem Display zu sehen war, und auch die Agenten und einer der Ärzte lief zu ihr, mit ausgestreckten Händen, sogar Cassidy stürmte los, während Annika mit einem Ausdruck reinen Grauens im Gesicht auf das Handy starrte, und dann waren alle bei ihr, gerade als sie wie vom Blitz gefällt zu Boden geschleudert wurde und die Granate losließ, die, nur für einen Moment sichtbar, durch die Luft flog. Und flog. Und fiel. Trotz all der Hände, die danach zu greifen versuchten, fiel sie weiter, durch Sekunden von atemloser Stille.
    Und dann zerriss ein Krachen diese Stille, und ein grelles Licht verwandelte die Gestalten über Annika in Schattenrisse, die vom Boden gehoben und durch den Raum geschleudert wurden. Ella spürte einen Luftstoß, der ihr den Atem nahm und sie ebenfalls zurückschleuderte, und sie hatte noch nie ein lauteres Geräusch gehört als diese Explosion in einem geschlossenen Raum. Es hörte und hörte und hörte nicht auf, und dann, auf einmal, war es still.

6 1
    Die Dunkelheit war nicht mehr dunkel. Lichter und Schatten zogen hinter ihren Lidern vorbei wie Reflexe, die von unruhigem Wasser auf eine Zimmerdecke geworfen wurden – Kreise und Punkte, leuchtende Farben. Nicht schlafen, dachte sie; ich darf nicht schlafen . Sie roch verbranntes Pulver und versengtes Fleisch. Sie hörte Laute, die sie kannte: Stöhnen, Schreie, Weinen. Sie riss die Augen auf. Sie lag auf dem Rücken und wusste im ersten Moment nicht, wo sie war. Dann spürte sie einen heftigen Schmerz im Hinterkopf, und da wusste sie wieder, wo sie sich befand und was geschehen war.
    Eine Minute lang glaubte sie, sich nie wieder rühren zu können. Bei jeder Bewegung brannten die Muskeln, sogar die Knochen. Sie hörte ihr Herz, dessen harte, schnelle Schläge ihren ganzen Körper zu erfüllen schienen. Ihr Blut raste, und trotzdem war sie unendlich müde. Sie richtete sich auf, erst nur bis zur Hüfte, auf einen Arm gestützt. Es ging. Nichts gab nach, wirkte gerissen oder gebrochen.
    Sie zog die Beine an, bewegte die Füße. Auch das ging. Vorsichtig stand sie auf, doch als sie sich umsah, weigerte sich ihr Gehirn, den An blick ganz zu erfassen. Sie sah das Blut und das aufgerissene Fleisch und die verbrannte Haut. Sie sah die liegenden, reglosen Körper und wusste nicht, wer tot war und wer noch lebte. Michael war tot, das konnte sie erkennen. Einer der Agenten war auch tot; seine reglosen, weit offenen Augen sagten es ihr, der aufgerissene, geschwärzte Mund.
    Oliver lag da und rührte sich nicht.
    Annika lag ein Stück weit von ihm entfernt und rührte sich nicht.
    DI Cassidy lag vor ihr und rührte sich nicht.
    Doch, jetzt bewegte er sich, eine Hand zuckte. Er versuchte den Kopf zu heben.
    Anni ist nicht tot, dachte Ella. Sie darf nicht tot sein! Sie sah mehrere der Patienten, die sich an die Wände gekauert hatten, einige mit den Händen vor dem Gesicht. Eine der Schwestern lehnte zitternd neben der Tür. Die anderen Schwestern kümmerten sich um sie, redeten mit ihr, säuberten sie vom Blut. Die beiden Mädchen hockten unter dem Tisch, offenbar unverletzt, aber mit Blutspritzern übersät wie mit rotem Konfetti.
    Die Ärzte und der Pfleger kümmerten sich um die verletzten Patienten, um Gershenson und den zweiten Agenten und die Frau in dem rosa Morgenmantel.
    Anni ist nicht tot, dachte Ella . Langsam ging sie auf den reglos daliegenden Körper ihrer Freundin zu. Sie kniete nieder und legte zwei Finger an Annis Halsschlagader. Es gab einen Puls! Ihr Herz schlug, sie atmete. Sie war bewusstlos, aber sie lebte! Vorsichtig versuchte Ella, den Körper ihrer Freundin in eine stabile Seitenlage zu bringen. Da entdeckte sie die Verletzung im Nackenbereich, eine tiefe Wunde wie von einem Projektil, das aus nächster Nähe abgefeuert worden war.
    Wie bei Shirin nach dem Anschlag in der U-Bahn.
    Sie drehte sich zu den Ärzten um. »Ich brauche Hilfe! Ich brauche hier Hilfe! Diese Patientin ist schwer verletzt!« Gleichzeitig fiel ihr der

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