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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Meyer … Wie findest du das, Schlampe?« Er hielt ihr das Handy hin.
    »Ich habe keinen Kumpel Alexander Meyer«, antwortete Ella, aber noch während sie das sagte, wurde ihr mit einem Schlag klar, was sie die ganze Zeit übersehen hatte: die Freundschaftsanfrage von jemand, der Alexander Meyer hieß. Sie nahm das Handy entgegen, traute sich aber nicht sofort, auf das Display zu schauen. Ich will nicht wieder sehen, wie jemand Menschen tötet.
    Dann sah sie hin.
    Sie sah ein Baby.
    Das Baby lag in seinem kleinen Bettchen auf dem Rücken und schlief. Auf dem Laken neben dem Kopf lag sein Schnuller, der ihm aus dem Mund gefallen war. Die winzigen Hände des Babys öffneten und schlossen sich, ohne dass es aufwachte, nicht einmal vom Lichtschein des Fotohandys in seinem Gesicht. Das Bild war etwas verwackelt, unscharf. Die Kamera löste sich von dem schlafenden Baby und schwenkte hoch, und jetzt konnte man sehen, dass es hinter einer Glasscheibe lag, neben vielen anderen Neugeborenen in ihren Bettchen. Die Scheibe reflektierte das bläulich leuchtende Handy und den Mann, der es hielt.
    Ella kannte keinen Alexander Meyer, aber sie kannte einen Sascha, den Rettungsassistenten, der mit ihr in Kornacks Wohnung gewesen war. Und Sascha ist nichts anderes als die russische Koseform von Alexander . Jetzt erinnerte sie sich wieder an den merkwürdigen Gesichtsausdruck, mit dem er ihr und Abdallah damals nach dem Angriff des Sanitäters nachgeschaut hatte.
    Kornacks Handy ist gefunden worden, hat Abdallah gesagt. Aber etwas hatte sich in das Display eingebrannt, etwas, das er mir nicht nennen wollte.
    Endlich erkannte sie auch, was sie auf dem winzigen Bildschirm sah. »Das ist die Säuglingsstation der Virchow-Klinik.«
    Oliver nickte, seine Augen leuchteten. Auf einmal wirkte er ganz konzentriert, fast erwartungsvoll.
    »Aber das sind doch Kinder – Babys!«, sagte sie. »Warum – warum Babys?«
    »Damit sie keine Menschen werden müssen.«
    Die Säuglingsstation war nur schwach beleuchtet, und ein weiterer Schwenk zeigte, dass sich nirgendwo eine Nachtschwester aufhielt. Der Mann, der die schlafenden Babys durch die Glasscheibe zum Gang betrachtete, war allein. Er hielt ein Clipboard in der anderen Hand, und um seinen Hals baumelte ein Stethoskop, mehr konnte man in der Scheibe nicht erkennen. Er gibt sich als Arzt aus. Der Lichtstrahl des Handys huschte über den Fußboden, dann eine Wand hoch und erfasste das Gitter eines Lüftungsschachts.
    »Ist … ist das live?«, fragte Ella atemlos.
    »Ja«, sagte Oliver.
    »Was hat er vor?«, fragte Ella.
    »Das reicht«, sagte Oliver und nahm ihr das Smartphone wieder weg. Der junge Mann mit der Granate weinte jetzt nicht mehr, stattdessen schluckte er den Rotz herunter und trat von einem Fuß auf den anderen, als müsste er dringend auf die Toilette. »Tut weh«, sagte er.
    Oliver schaltete das Gerät aus. »Ich habe online nur verfolgt, dass er sich im Internet Chemikalien besorgt hat, aus verschiedenen Quellen. Vielleicht zur Herstellung von Gas. Und Bakterienkulturen. Was Biologisches, Mykotoxine vielleicht. Eine winzige Dosis reicht aus, um die ganze Klinik zu vergiften. Völlig geruchlos. Geil, oder? Niemand kann es orten, bevor es wirkt. Wenn man es entdeckt, ist es schon zu spät – nicht wie bei Bomben oder einem Heckenschützen. Es dringt über die Atemwege ein, durch den Mund, die Nase, sogar durch die Haut. Die Russen haben das in Afghanistan eingesetzt. Qualvoller Tod, gibt irre Filme davon.«
    »Tut weh«, sagte Michael und hielt seine Faust mit der Granate hoch, deren Sicherungsbügel in sein Fleisch schnitt, weil er sie so fest umklammerte.
    »Oliver«, Annika ergriff Ellas Arm und zog sie weg, schob sie zur Seite, »ich würde dir gern etwas erzählen. Ich möchte, dass du mir zuhörst, nur noch einmal. Danach kannst du meinetwegen mit mir machen, was immer du willst. Ist das okay für dich?«
    Oliver schaute sie abwartend an, sagte nicht ja und nicht nein.
    »Ich glaube, dass du aus einem bestimmten Grund jetzt hier bist und nicht zu Hause an deinem Computer sitzt«, fuhr sie fort. »Du bist nicht nur hier, weil du mich umbringen wolltest. Nicht nur, weil ich eine Gefahr für dich bin und du mir zuvorkommen wolltest.«
    Sie wartete, sah ihn an, und er wartete auch.
    »Du bist hier«, erklärte sie, »weil du nicht mehr allein in dir bist. Ich meine das genau so, wie ich es sage. Du bist in dir nicht allein. Jemand oder etwas hat Besitz von dir ergriffen. Du bist

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