Nukleus
darauf? Hat der Präsident ihn bedroht?«
»Keine Ahnung, ich glaube, er wollte es nicht am Telefon sagen und hat mich deswegen gedrängt, zu ihm zu kommen.«
Eine Sirene näherte sich, ihr Jaulen schwoll an und ab und verstummte dann, während noch mehr Blaulichtblitze über die Blätter der Platane vor dem Haus huschten. In knackenden Funkgeräten schnarrten körperlose Stimmen Fragen, die niemand zu beantworten schien.
»Wo wir gerade dabei sind – ich habe Ihren Namen in den Computer eingegeben«, sagte Abdallah. »Oberkommissar Hagen war nicht der erste Kollege, der ermordet wurde, nachdem er mit Ihnen zu tun hatte. Vor einem Jahr ist ein Hauptkommissar Schröder und …«
Ella richtete sich so abrupt auf, dass sofort ein glühender Stich ihren Kopf durchbohrte. »Hauptkommissar Schröder wurde von einem seiner eigenen Kollegen umgebracht, im Auftrag einer Horde krimineller Banker, die auch mich töten wollten.« Unwillkürlich berührte sie die taube Stelle über dem linken Ohr, ertastete ein Pflaster, das Sascha dort angebracht haben musste, während sie bewusstlos gewesen war. »Hat Ihr Computer Ihnen nicht gesagt, dass alle Vorwürfe gegen mich als substanzlos fallen gelassen worden sind? Wo wir gerade dabei sind?«
»Computerauskünfte kann man manipulieren«, sagte Hassan Abdallah. »Menschen auch.«
Ella schwang die Beine von der Trage. »Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, würde ich mich gern von jemand nach Hause bringen lassen. Ich bin müde, und letzte Nacht habe ich …«
»Aber natürlich, wie rücksichtslos von mir«, unterbrach er sie neuerlich. Geschmeidig reichte er ihr eine Hand, um ihr aus dem Rettungswagen zu helfen, während er mit der anderen nach ihrer Umhängetasche auf der Ablage griff. »Natürlich werde ich Sie selbst fahren. Die Kollegen von der Spurensicherung haben es sowieso nicht gern, wenn wir an ihrem Tatort herumlungern und alles Mögliche kontaminieren. Unterwegs können wir dann vielleicht noch ein bisschen über den Fall sprechen – oder besser, die beiden Fälle, denn falls Ihre Beobachtungen zutreffen, hängen sie ja möglicherweise zusammen, oder?« Er ließ ihre Hand nicht los, führte sie um den Rettungswagen herum zur der Absperrung. Bei jedem Schritt zitterten ihre Beine; der Boden schien härter als sonst und nie ganz dort zu sein, wo die Füße ihn erwarteten.
Sascha stand in der Seitentür des Sprinters und sah ihnen nach. Kurz lag auf seinem bleichen, unverbrauchten Gesicht ein grüblerischer Ausdruck. Dann merkte er, dass Ella ihn beobachtete, und seine Miene nahm wieder ihren normalen Ausdruck an, der plötzlich wie eine Maske wirkte.
»Außerdem müssen wir uns ja auch noch abstimmen, was wir wem sagen«, meinte der Oberkommissar, als er mit dem Schlüssel in seiner rechten Hand auf einen grauen Audi zielte, der sie mit orange blin kenden Lampen begrüßte. Er reichte Ella ihre Tasche und öffnete ihr die Beifahrertür; sein Kaugummi-Atem streifte ihren Hals. »Oder wollen Sie lieber hinten sitzen? Nein? Wohnen Sie noch in Schöneberg, in der Akazienstraße?«
»Ja.« Ella stieg ein, fand genügend Platz für ihre Beine unter der ganzen Polizeitechnik am Armaturenbrett und lehnte den Kopf an die Nackenstütze. Sie war froh, dass sie wieder sitzen konnte; ihre Oberschenkel zitterten noch immer. »Wissen Sie inzwischen mehr über den Mann, der sich gestern in der U7 in die Luft gesprengt hat?«, fragte sie, als Abdallah hinter das Lenkrad gerutscht war. »Wer er war oder warum er es getan hat?«
»Nein, bisher nicht.« Der Kommissar schüttelte bedauernd den Kopf, während er den Wagen startete und das Martinshorn aufjaulen ließ, nur einmal, damit die Zuschauer die Fahrbahn freigaben. »Wir haben sein Bild durch den Computer gejagt, aber nichts gefunden. Jetzt geben wir es an die Medien, nur das bearbeitete Gesicht natürlich, und verteilen es an die sozialen Netzwerke – Facebook, MySpace und LifeBook –, vielleicht bringt uns das weiter.« Er steuerte den Wagen langsam die Boddinstraße hinauf. »Sind Sie bei einem dieser sozialen Netzwerke?«
»LifeBook«, antwortete Ella, »aber ich schaue praktisch nie rein, und was die Pflege meiner Daten angeht, na ja … Eigentlich habe ich mich nur einer Freundin zuliebe angemeldet.«
Abdallah nickte verständnisvoll. »Es wäre trotzdem nicht falsch, ein Status-Update vorzunehmen«, meinte er.
»Warum?«
»Vielleicht möchte noch jemand mit Ihnen in Kontakt treten, der Hilfe braucht, bevor er
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