Null
Umlaufbahn von Planeten.
Dass
Méchanique Céleste
noch heute als wichtig erachtet wird, liegt jedoch nicht an Laplaces astronomischen Erkenntnissen, sondern daran, dass er der erste Wissenschaftler war, der die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die Astronomie anwandte. Er zeigte, dass wiederholte Beobachtungen der Position eines Sterns dazu tendierten, die Glockenkurve zu bestätigen, welche de Moivre in der
Lehre des Zufalls
beschrieben hatte. Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung war Laplace letztlich dazu in der Lage, die Position der Planeten vorauszusagen und das Universum besser zu verstehen.»
«Was meinen Sie mit ‹wiederholte Beobachtungen der Position eines Sterns›?», fragte ein blasser Student mit dunklem, langem Haar.
«Gute Frage», entgegnete Caine und ging an die Tafel. «Eines der größten Probleme der Astronomie war damals, dass jeder seine Messungen per Hand vornahm. Und da Menschen Fehler machen, waren die Daten ungenau. Wenn zwanzig verschiedene Astronomen die Position eines Sterns maßen, erhielt man zwanzig verschiedene Ergebnisse.
Laplace nahm jedenfalls diese zwanzig verschiedenen Beobachtungen und stellte sie graphisch dar. Dabei sah er, dass die Positionen auf einer Glockenkurve wie dieser lagen.» Caine zeigte auf das Schaubild einer Normalverteilung an der Wand.
«Als er das sah, sagte er sich: ‹Aha, wenn die Beobachtungen einer Normalverteilung entsprechen und die Spitze der Glockenkurve den wahrscheinlich wahren Wert der Stichprobe zeigt, dann ist die Spitze wahrscheinlich die wahre Position des Sterns.› Heute erscheint uns das offensichtlich, aber damals war es revolutionär. Es war das erste Mal, dass jemand die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf eine andere Disziplin anwandte. Laplace stellte die These auf, dass, selbst wenn es unmöglich sei, die genaue Position eines Sterns zu kennen, es aber dennoch möglich sei, sie mit einem bestimmten Grad der Wahrscheinlichkeit zu kennen.»
Caine hielt inne, um sicherzugehen, dass ihm alle folgen konnten.
«Doch damit endeten Laplaces Studien nicht. 1805 veröffentlichte er den vierten Band der
Méchanique Céleste
, in dem er mit einem neuen, philosophischen Ansatz an die Physik heranging. Er stellte die Theorie auf, dass jedesNaturphänomen durch das Studium der Kräfte zwischen Molekülen verstanden werden könne. Anhand dieser neuen Theorie untersuchte er alles Mögliche, vom Luftdruck bis zur astronomischen Brechung, wobei er erneut Handwerkszeug der Wahrscheinlichkeitsrechnung wie Glockenkurven benutzte, um die unterschiedlichsten Phänomene zu messen.
Laplaces Glanzleistung war die Veröffentlichung der
Théorie Analytique des Probabilités
oder
Analytische Theorie der Wahrscheinlichkeiten
im Jahr 1812. In diesem Werk entwickelte er die Methode der Abweichung und die Bedeutung der Fehlerminimierung …»
Ein pummeliger Student namens Steve meldete sich. «Da komme ich nicht mehr mit.»
Caine erinnerte sich daran, dass seine Vorlesung auch eine Pflichtveranstaltung für das Geschichtsstudium war und daher keine statistischen Vorkenntnisse vorausgesetzt wurden. Da in der Vorlesung noch drei weitere Studenten mit Hauptfach Geschichte saßen, musste er erklären, was er mit Fehlerminimierung meinte. Er kratzte sich am Kopf und überlegte, wo er beginnen sollte.
«Kennen Sie den Unterschied zwischen Statistik und Wahrscheinlichkeit?»
Steve und die anderen Nichtmathematiker schüttelten den Kopf.
«Okay. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung befasst sich mit so genannten ‹zufälligen› Ereignissen wie dem Würfeln oder dem Werfen einer Münze; die Statistik bezieht sich auf die Erfassung und Auswertung von ‹tatsächlichen› Ereignissen wie Geburtenraten oder Sterblichkeitsziffern. Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeitsrechnung wird angewandt, um Gleichungen aufzustellen, die Statistiken vorhersagen.»
Da Caine zwar das Gefühl hatte, dass Steve ein Licht aufgegangen war, er jedoch nicht wusste, wie es um die beiden anderen bestellt war, griff er auf seinen Notanker zurück.
«Beginnen wir mit einem einfachen Beispiel. Nehmen wir an, ich werfe viermal hintereinander eine Münze. Wie oft werde ich Ihrer Meinung nach einen Kopf werfen?»
«Zweimal», sagte Steve.
«Und warum?»
«Weil man bei der Hälfte der Würfe einen Kopf wirft, und die Hälfte von vier ist zwei.»
Caine nickte. «Im Grunde haben Sie gerade die Wahrscheinlichkeitsrechnung angewandt, um eine Statistik vorherzusagen – die Anzahl der
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