Null
glaubte Nava, sie lange genug hinhalten zu können, bis sie einen anderen Käufer gefunden hatte. Sie selbst glaubte nicht an Tverskys Projekt. Nava verstand nichts von den biochemischen und quantenphysikalischen Grundlagen seiner Theorie, kannte aber die Welt gut genug, um zu wissen, dass das, worauf er hinauswollte, schlicht und einfachunmöglich war. Es konnte gar nicht anders sein. Das bedeutete aber nicht, dass irgendeine ausländische Regierung nicht daran glauben würde; Nava war überzeugt, dass sie irgendwo einen Abnehmer für Tverskys wilde Idee finden konnte.
Wenn sie diese Informationen verkaufte, konnte sie ein neues Leben beginnen. Nava nahm eine Lesebrille aus ihrem Rucksack und setzte sie auf. Sie achtete darauf, den Kopf vollkommen ruhig zu halten, während sie die Abstracts und Originaldateien durchblätterte, damit die in einem Brillenbügel verborgene fiberoptische Kamera scharfe Aufnahmen des Bildschirms schießen konnte. Als sie bei der letzten Seite angelangt war, scrollte sie die gesamten Daten noch einmal durch, um sicherzugehen, dass sie nichts übersehen hatte.
Als Nava damit fertig war, starrte sie den Titel der Theorie an und fragte sich, warum um alles in der Welt Tversky seinem Projekt einen solch bizarren Namen gegeben hatte. Aber egal. Sie schob den Gedanken beiseite und sah auf ihre Armbanduhr. Es war ein Uhr mittags. Ihr blieben immer noch vierzehn Stunden, um um ihr Leben zu feilschen.
Auf dem Fußmarsch nach Hause rauchte sie zwei Zigaretten. Als sie in ihrer Wohnung eintraf, hatte sie sich einen Plan zurechtgelegt. Dann korrespondierte sie ein paar Stunden lang über verschlüsselte E-Mails mit der RDEI, dem Mossad und dem MI6. Während sie auf Antwort wartete, ging sie im Zimmer auf und ab, eine Zigarette in der Hand. Um fünf Uhr hatte sie ein Treffen verabredet, und eine Stunde später fuhr sie mit einem Taxi in die Bronx und von dort aus im letzten Wagen eines Zugs der U-Bahnlinie D zurück nach Manhattan.
Kaum hörbar kündigte der Zugführer an, dass sie aufder Fahrt nach Coney Island an sämtlichen Stationen halten würden. Während der Zug nach Südwesten fuhr, füllte er sich mehr und mehr, was an der 42nd Street seinen Höhepunkt erreichte. Von da an nahm die Zahl der Fahrgäste wieder ab, bis nur noch einige wenige übrig waren. Die einzigen beiden Verbliebenen von den zwölf Personen, die in der Bronx mit ihr zugestiegen waren, waren Koreaner – ein muskulöser Mann, der Zeitung las, und der Mann mit der verspiegelten Brille.
Da Nava nun sicher war, dass ihr niemand von der CIA gefolgt war, klappte sie ihr Buch zu und steckte es in den Rucksack. Das war das Signal. Fast augenblicklich schlug der kräftige Koreaner seine Zeitung zu, klemmte sie sich unter den Arm und setzte sich neben sie.
«Wo ist Tae-Woo?», fragte Nava.
«Yi Tae-Woo lässt sich die Nase richten», sagte der Mann mit ernster Stimme. «Mein Name ist Chang-Sun.» Nava war klar, dass «Chang-Sun» ein Deckname war, aber das interessierte sie nicht. Tae-Woos Name war bestimmt ebenfalls erfunden. Es kam nur darauf an, ob Chang-Sun verhandeln durfte oder nicht.
«Haben Sie eine Antwort für mich?» Sie hielt es nicht für nötig, mit dem Mann Nettigkeiten auszutauschen.
«Unsere Wissenschaftler im Ministerium haben die Daten analysiert und fanden sie recht interessant», sagte Chang-Sun in unverbindlichem Tonfall.
«Und?»
Der Mann reagierte ungehalten auf Navas Schroffheit, antwortete aber dennoch.
«Unser Geschäft ist abgeschlossen, wenn Sie die ungekürzten Dateien und Testperson Alpha liefern.»
«Von der Testperson Alpha war bei meinem Angebot keine Rede.»
«Ohne sie gibt es keine Abmachung», sagte Chang-Sun und öffnete auf dem Schoß die Hände, wie um zu zeigen, dass er nichts daran ändern konnte.
Nava hatte nichts anderes erwartet. Ihre beiden anderen Gespräche, eins mit den Briten und eins mit den Israelis, waren ähnlich verlaufen. Kein Geheimdienst war an den Rohdaten interessiert, wenn er nicht auch die Testperson bekam, von der sie stammten. Beide hatten ihr jedoch über zwei Millionen Dollar geboten, was den Wert der Informationen, die Nava zuvor für die RDEI beschafft hatte, bei weitem überstieg. Sie wusste, dass sie Verhandlungsspielraum hatte, denn Tverskys Dateien waren der RDEI mehr wert als ihr, Navas, Tod.
«Ich brauche noch eine weitere Million Dollar», sagte Nava.
«Das kommt nicht in Frage.»
«Dann haben wir nichts zu besprechen. Ihr Gebot ist zu
Weitere Kostenlose Bücher