Null
Hinterhauptlappen. Diese Kabel waren mit dem Elektroenzephalographen, dem EEG, verbunden, der die elektrischen Impulse im Gehirn maß. Tversky richtete seine Aufmerksamkeit auf die Reihe von Monitoren neben Juliaund konzentrierte sich auf die Darstellung ihrer Hirnstromwellen.
Als jemand, der sich ebenso mit Geschichte wie mit den Naturwissenschaften befasste, staunte Tversky über die Kette der Ereignisse, die hierzu geführt hatte. Alles ließ sich auf das Jahr 1875 zurückführen, als der Liverpooler Arzt Richard Caton zum ersten Mal elektrische Signale an der Oberfläche des Gehirns von Tieren gemessen hatte. Fünfzig Jahre später entwickelte der österreichische Nervenarzt Hans Berger den Elektroenzephalographen, mit dem man Stärke und Frequenz menschlicher Hirnströme messen konnte. Wie Tversky hielt auch Berger viel von Menschenversuchen. 1929 veröffentlichte er die ersten 73 EE G-Messungen , die alle vom selben Versuchsobjekt stammten – seinem Sohn Klaus.
Doch was Tversky wirklich interessierte, waren die Forschungen, die Berger in den Dreißigerjahren des Zwanzigsten Jahrhunderts mit Epileptikern angestellt hatte. Berger hatte entdeckt, dass die Hirnströme eines Epilepsiekranken während eines Anfalls stärker waren als bei normalen Patienten. Noch interessanter war, dass die Hirnströme direkt nach einem Anfall fast aussetzten, so als wäre es zu einer Art Kurzschluss gekommen. Dieser erstaunliche Gegensatz brachte Tversky dazu, die Hirnströme derjenigen zu erforschen, die an der Krankheit litten, die man früher einmal als «Geißel Gottes» bezeichnet hatte.
Tversky hatte immer gewusst, dass die Hirnströme der Schlüssel zu dem waren, wonach er suchte. Beta, Alpha, Theta, Delta – darin verbarg sich die Lösung. Während er Julias Daten betrachtete, ertappte er sich dabei, wie er sich einen Moment lang von dem auf und ab hüpfenden weißen Punkt mit dem langen silbrigen Schweif, der Julias Alphawellen darstellte, hypnotisieren ließ.
Die Frequenz der Welle, gemessen in Hertz, gab an, wie oft sich die Welle pro Sekunde wiederholte; die Amplitude oder Schwingungsweite stellte die Stärke der Hirnströme dar. Zwar waren jederzeit alle vier Wellenkategorien aktiv, eine aber war jeweils vorherrschend.
Gegenwärtig waren es Julias Alphawellen, was nicht weiter verwunderlich war. Alphawellen waren der Grundrhythmus bei entspannten Erwachsenen. Diese Wellen waren am stärksten, wenn der jeweilige Mensch einen angenehmen Tagtraum hatte, und wurden oft auch als Brücke zum Unterbewusstsein und zum Gedächtnis bezeichnet. Julias Alphawellen hatten eine Frequenz von zehn Hz, was genau in der Mitte des normalen Bereichs lag.
Tversky beschloss, auch noch die Betawellen zu überprüfen. Betawellen waren bei Menschen vorherrschend, die die Augen geöffnet hatten und aufmerksam zuhörten, nachdachten oder anderweitig Informationen verarbeiteten, und daher stellte er Julia eine Frage, um buchstäblich ihr Bewusstsein in Bewegung zu setzen.
«Liebste, ich möchte, dass du jetzt die Primzahlen aufsagst, bis ich dir sage, dass du wieder damit aufhören kannst. Ab jetzt.»
Julia nickte knapp und begann: «Zwei, drei, fünf, sieben, elf, dreizehn …»
Zunächst änderten sich ihre Hirnströme kaum, vermutlich, weil sie die ersten zehn Primzahlen auswendig kannte. Als sie jedoch zu immer höheren Zahlen kam, musste Julia nachdenken, und ihre Betawellen schlugen aus und pendelten sich wie erwartet bei neunzehn Hz ein.
«Danke, Julia. Das reicht.»
Julia hörte auf zu zählen, und sofort sanken Amplitude und Frequenz ihrer Betawellen. Nun waren wieder ihre Alphawellen vorherrschend. Tversky zog in seiner Spritzezwei Kubikzentimeter einer gelblichen Lösung auf. «Ich gebe dir jetzt ein leichtes Beruhigungsmittel. Es wird kurz pieken.»
Tversky fuhr ihr mit der Nadel in den Arm, und Julia spannte sich kurz an, doch schon wenige Sekunden später spürte er, wie sie sich wieder entspannte, so als hätten alle Muskeln ihres Körpers gleichzeitig ausgeatmet. Ihre Atemzüge wurden ruhiger, und ihr Kopf sank zur Seite. Tversky schnippte direkt vor ihrem Gesicht mit den Fingern. Julia blinzelte noch ein paarmal träge, dann waren ihre geschlossenen Augen ruhig.
«Julia, kannst du mich hören?»
«Höre dich», murmelte Julia.
Sie war noch nicht bewusstlos, aber nahe dran, genau da, wo er sie haben wollte. Er sah zu dem Monitor hinüber und nickte. Jetzt waren ihre Thetawellen vorherrschend, was zeigte, dass
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