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Null

Null

Titel: Null Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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nicht fertig.
Ein weiteres Anzeichen dafür, dass er gerade wahnsinnig wurde? Nein. Er weigerte sich, das zu glauben. Er sagte sich, es sei nur ein Instinkt. Er hatte ständig instinktive Eingebungen, und meistens waren sie ziemlich gut – natürlich mal abgesehen von dem Instinkt, der ihn dazu verleitet hatte, elf Riesen auf ein Verliererblatt zu setzen.
    Die widerstreitenden Stimmen in seinem Geist ignorierend, ging Caine den kahlen Flur hinab, und seine Schritte hallten über den harten Linoleumboden, bis er zu den Flügeltüren kam. Als er die glatten Metallklinken berührte, überkam ihn ein überwältigendes Déjà-vu.
    Mit einem Mal war ihm alles vertraut: das glatte, kühle Metall unter seinen Fingern, die flackernde Neonbeleuchtung über seinem Kopf, der antiseptische Geruch von Alkohol und Medizin. Es war eine berauschende Empfindung, die wie eine Riesenwoge über ihn hinwegbrandete und ihn mit dem Gefühl zurückließ   … in die Zukunft sehen zu können? Übernatürliche Fähigkeiten zu haben? Ein Hellseher zu sein?
    Mit einem Mal strotzte er vor seltsamem Selbstvertrauen, so als hätte er einen Royal Straight Flush auf der Hand und wäre daher unbesiegbar. Und damit öffnete erdie Flügeltüren, um zu sehen, was sich dahinter befand. Die kalte Luft strich ihm übers Gesicht, als er auf dem schummrig beleuchteten Korridor an den stillen Zimmern entlangging. Er atmete sie tief ein, wollte jeden Moment auskosten, der sich genau so, wie er es gewusst hatte, vor seinen Augen abspielte.
    Caine fand, es hatte etwas Beruhigendes, Friedliches an sich, wie er da an den schlafenden Leibern entlangging und sich fragte, welche Träume oder Albträume wohl gerade ihre bewusstlosen Hirne plagten.
    Bergeweise Heidelbeermuffins   … tollwütige Hunde mit Schaum vorm Maul   … eine hitzige Auseinandersetzung mit einem Exfreund.
    Jeder dieser Gedanken ging ihm wie eine weit zurückreichende, lebhafte Erinnerung durch den Sinn. Er fühlte sich auf seltsame Weise getröstet und verbunden   … aber womit verbunden?
    Mit ihrem Geist
, flüsterte ihm die Stimme (der Instinkt?) zu. Er sagte sich, das sei verrückt.
    Natürlich ist es das. Aber es ist dennoch wahr.
    Er schüttelte den Kopf, bekam Angst. Das war es jetzt. Er schnappte über, hatte Halluzinationen. Aber es war alles viel zu real, um eine Wahnvorstellung sein zu können. Die Gefühle waren echt. Und dann hörte er Jaspers Worte in seinem Geist widerhallen:
    Die Wahnvorstellungen kommen einem real vor. Ganz natürlich, geradezu nahe liegend. So als wäre es die normalste Sache der Welt, dass die Regierung ausspionieren lässt, was du denkst, oder dass dein bester Freund dich umbringen will.
    Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Er musste sich konzentrieren. Er begann, aufmerksamer auf seine Umgebung zu achten. Jede Zimmertür, an der er vorbeikam, war mit einer Nummer und einer weißen Karte versehen,auf der in großer Blockschrift die Namen der Patienten standen. HORAN, NINA. KARAFOTIS, MICHAEL. NAFTOLY, DEBRA. KAUFMAN, SCOTT.
    Erst als er an dem vierten Zimmer vorbeigegangen war, merkte Caine, dass er die Namen abgelesen hatte, als würde er jemanden suchen. Während er vor den Türen kurz innegehalten hatte, hatte sein Hirn gesagt:
Nein, nein, nein, nein.
    Als er den Namen an der fünften Tür las, blieb er stehen. Von drinnen hörte er ein leises Wimmern.
    Ja, das ist sie.
    Ohne zu zögern, betrat Caine den Raum.
    Das Bettzeug des großen Krankenhausbetts war verknittert, aber es schien niemand darin zu liegen. Doch als sich Caines Augen an die Dunkelheit in dem Raum gewöhnt hatten, sah er den kleinen Kopf einer Puppe. Der Kopf drehte sich zu ihm her und blinzelte ihm mit großen, feuchten Augen entgegen.
    Caine hätte fast geschrien. Da wurde ihm klar, dass das Wesen gar keine Puppe war. Es war ein kleines Mädchen. In dem viel zu großen Bett wirkte das arme Ding ganz klein und verloren.
    «Alles in Ordnung?», fragte Caine zögernd.
    Das Mädchen antwortete nicht, aber Caine glaubte zu sehen, dass sie den Kopf ein wenig auf und ab bewegte.
    «Soll ich eine Krankenschwester holen?»
    Sie schüttelte langsam den Kopf.
    «Soll ich ein bisschen bei dir bleiben?»
    Ein winzig kleines Nicken.
    «Okay.» Caine zog vorsichtig einen Stuhl ans Bett des kleinen Mädchens und setzte sich. «Ich heiße David, aber meine Freunde nennen mich Caine.»
    «Hallo, Caine.» Das Mädchen klang sehr matt, aber inihrer Stimme schwang etwas mit – Hoffnung vielleicht?

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