Null
hatte keine Ahnung, woher er das wusste, war sich dessen aber dennoch sicher. Die Stimme hatte ihm nie gesagt, dass sie allwissend sei, aber wenn sie zu ihmsprach, konnte ein Teil seines Hirns sehen, was sie sah. Und in diesen Momenten sah Jasper alles. All die Leute, die Pläne ausheckten und Ränke schmiedeten, um David zu schaden. Manche wollten ihn verkaufen. Andere wollten an ihm herumexperimentieren. Einige trachteten ihm nach dem Leben.
Das war der Grund, warum Jasper die Waffe beschaffen musste. Zum Schutz. Um David vor denen zu beschützen, die ihm Schaden zufügen wollten. Er würde nie zulassen, dass sie seinem kleinen Bruder etwas antaten. Niemals –
Es ist so weit.
Jasper blieb auf dem menschenleeren Gehsteig stehen und legte den Kopf schräg.
– Ich habe die Waffe besorgt, wie du es wolltest.
Bist du bereit?
– Ja.
Gut. Ich will, dass du Folgendes tust …
Jasper hörte zu und schloss die Augen, damit er ein Stück der Unendlichkeit erblicken konnte. Dabei huschte ihm ein versonnenes Lächeln übers Gesicht, denn endlich erkannte er seine wahre Bestimmung. Dann verstummte die Stimme. Als er die Augen wieder öffnete, entwichen die Bilder, die er gesehen hatte, seinem Bewusstsein und ließen nur Schatten zurück.
Und obwohl sich Jasper an das Gesehene nicht erinnern konnte, fühlte er sich immer noch ganz leicht und luftig, als wäre sein Inneres mit reiner Freude erfüllt. Er packte die Waffe fester und eilte die Straße hinab. Er musste rennen, damit er noch rechtzeitig kam.
Als er Elizabeths Zimmer verlassen hatte, atmete Caine erleichtert auf. Der Instinkt
(die Stimme?)
, der
(die)
ihn dazu gebracht hatte, den Raum zu betreten, war verstummt. Erhatte nun keinen Grund mehr, dort zu bleiben, und deshalb ging Caine den Flur hinab zurück zu den Fahrstühlen. Im Erdgeschoss angelangt, spürte er allerdings wieder, dass etwas an ihm zog und ihm ins Ohr flüsterte.
Geh nicht zum Haupteingang, da lauert er dir auf. Geh durch die Notaufnahme.
Caine wagte nicht, seinen Instinkt zu ignorieren
(meinst du nicht eher die Stimme?),
und ging kreuz und quer durch die Etage, bis er sich schließlich in der Notaufnahme wieder fand. Es sah dort ganz anders aus als bei
Emergency Room
. Dort liefen keine gut aussehenden Ärzte herum, die «Blutbild!» brüllten. Vielmehr saßen dort Dutzende unglückliche Menschen, die husteten, niesten und bluteten.
Als er den Ausgang entdeckt hatte, ging Caine im Zickzack zwischen den Stühlen hindurch. Er kam an einer schwangeren Frau vorbei, die sich mit ihrem Mann stritt, und aufwogender Schwindel ließ den Raum sich kräuseln, so als sähe er ihn durch einen kristallenen Wasserfall. Caine blieb stehen, hielt sich an dem nächstbesten Stuhl fest und kniff die Augen zu. Er versuchte, das streitende Pärchen zu ignorieren, das in der Nähe des Ausgangs stand, aber sein Gespräch drang ihm ins Bewusstsein.
«Ich darf nicht alleine bleiben. Du bist den ganzen Tag in deinem lächerlichen Zug, und ich hänge hier fest, Hunderte von Meilen entfernt.»
«Aber Schatz –»
«Komm mir nicht mit ‹Aber Schatz›. Es ist zu gefährlich. Fragen wir ihn. Was meinen Sie dazu?» Kurzes Schweigen, dann: «Doktor? Doktor?»
Caine schlug die Augen auf und stellte erleichtert fest, dass der Schwindelanfall vorüber war. Die schwangere Frau starrte ihn an.
«Was?», fragte Caine verwirrt.
«Darf eine Frau, die schon dreimal vorzeitige Wehen bekommen und ihr erstes Kind verloren hat, ganz alleine zu Hause bleiben, während ihr Mann in einem Zug die Ostküste rauf- und runterfährt?»
Caine sah den Mann auf Beistand hoffend an, aber der zuckte nur mit den Achseln.
«Ich weiß nicht», sagte Caine und überlegte krampfhaft, was er Kluges dazu sagen sollte. «Haben Sie hier in der Gegend irgendwelche Verwandten?»
Die Frau schüttelte den Kopf. «Nur eine Schwester in Philadelphia.»
«Das ist ja lustig. Mein Bruder wohnt auch in Philly. Die Welt ist klein, hm?», sagte Caine fast wie im Selbstgespräch. Und dann: «Wieso ziehen Sie nicht zu Ihrer Schwester? Nur bis das Baby kommt.»
Die Miene des Mannes heiterte sich auf. «Hey, das ist eine fabelhafte Idee, Schatz. Du ziehst für die nächsten zwei Monate zu Nora. Und wenn das Baby da ist, kommst du wieder nach Hause. So haben alle was davon.»
Die Frau sah hinab auf ihre klobigen Hände, die einander umklammerten, als fürchteten sie das Alleinsein. Ganz langsam nickte sie. «Okay. Ich rufe sie an.»
Der Mann
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