Null
Sergey ist in wenigen Minuten bei Ihnen.»
«Okay. Danke, Vitaly.»
«Gern geschehen», sagte Nikolaev großmütig. «Ach, Caine: eins noch.»
«Ja?»
«Gute Besserung.» Mit einem leisen Klicken wurde die Verbindung getrennt.
Caine klappte sein Telefon zu und beschloss, dass es Zeit war, das Krankenhaus zu verlassen. Er zog die gestärkte Bettdecke beiseite und schwang vorsichtig die Beine aus dem Bett, wobei er befürchtete, dass sie ihn nicht tragen würden. Der Linoleumboden fühlte sich kalt und glatt unter den Fußsohlen an. Es war ein schönes Gefühl, wieder aufrecht zu stehen. Als er sicher war, dass er nicht umkippen würde, schlüpfte er schnell in seine Straßenkleidung.
Er sah auf die Uhr. Es war keine drei Minuten her, dass er aufgelegt hatte. Angenommen, Nikolaev hatte Kozlov gleich anschließend angerufen, dann blieb Caine für seine Flucht nicht viel Zeit. Er zweifelte nicht daran, dass der große Russe an den Sicherheitskräften des Krankenhauses vorbeikommen würde, die Frage war nur, wie lange er dafür brauchte. Caine hoffte, dass er die Antwort auf diese Frage nicht erfahren würde, denn er wollte längst weg sein, wenn Kozlov ihn besuchen kam.
Caine öffnete die Tür und spähte hinaus in den schummrig beleuchteten Korridor. In diesem Moment sah er Kozlov angewalzt kommen. Der stämmige Bodyguard hatte einen watschelnden Gang, verlagerte bei jedem Schritt das Gewicht seiner massigen Gestalt vom einen Riesenfuß auf den anderen. Caine sank das Herz in die Hose. Es war zu spät. Nun musste er Kozlov seine Scheckkarte aushändigen. Und wenn Nikolaev feststellte, dass er ihn hinsichtlich seines Kontostands belogen hatte, war alles aus.
Mit einem Mal erschienen ihm immaterielle, nicht greifbare Dinge wie epileptische Anfälle und Schizophrenie weit weniger bedrohlich als die dingliche Welt. Cainesah sich im Zimmer um, hielt verzweifelt Ausschau nach einem Versteck, sah aber lediglich den fahlen Umriss seines Zimmergenossen, der so flach atmete, dass Caine sich kurz fragte, ob der Mann tot sei. Einzig das leise Piepen des EK G-Geräts zeigte, dass er noch unter den Lebenden war.
Als Caine den hüpfenden Punkt auf dem Display sah, kam ihm eine Idee.
«Code blue – 1012. Code blue – 1012.»
Schwester Pratt sprach mit geübt monotoner Stimme ins Mikro. Lieber die Patienten nicht beunruhigen, indem man alle wissen ließ, dass in Zimmer 1012 jemand im Sterben lag. Sie schnappte sich den Notfallwagen und lief damit den Flur hinab. Den großen, bärtigen Mann bemerkte sie erst, als sie ihn rammte.
Er wirbelte grimmig blickend herum, aber sie hatte keine Zeit, ihn zusammenzustauchen. Sie umkurvte mit dem Wagen seine ungeschlachte Gestalt und lief weiter. Sie war als Erste vor Ort. Gott, warum mussten die alten Leute immer ausgerechnet in ihrer Schicht ins Gras beißen? Das war schon der Dritte diese Woche. Sie stürmte ins Zimmer, machte Licht und lief zu Mr. Morrison, der so grau im Gesicht war, dass er schon wie ein Leichnam aussah.
Da erst sah sie es: Die Elektrode lag auf dem Boden. Jetzt platzte einer der neuen, milchgesichtigen Assistenzärzte herein und hätte sie fast über den Haufen gerannt.
«Wie lange ist er schon –»
«Falscher Alarm. Die Elektrode hat sich gelöst.»
«Was? Oh», sagte der Assistenzarzt, als sie auf die am Boden liegende Zuleitung zum EK G-Gerät zeigte.
Sie bückte sich und hob das Kabel auf. Seltsam: DasKlebeband haftete noch. Sie fragte sich kurz, wie es sich gelöst haben konnte, schob den Gedanken aber schnell beiseite. In ihren sechzehn Jahren als Krankenschwester hatte sie gelernt, sich über die eigenartigen Vorkommnisse in diesem Gebäude keine großen Gedanken zu machen.
Denn es war ja schließlich ein Krankenhaus. Da geschahen ständig seltsame Dinge.
Caine duckte sich in den dunklen Eingangsbereich von Zimmer 1013 und sah zu, wie die Krankenschwester und der Assistenzarzt sein ehemaliges Zimmer wieder verließen. Nachdem nur Sekunden später Kozlov ins Zimmer 1012 geschlichen war, rannte Caine den Korridor hinab und ging dann flotten Schritts in Richtung des neonroten Ausgangsschilds. Als er die Leuchtbuchstaben ansah, schienen sie plötzlich größer zu werden, sich bis zum Boden zu erstrecken. Caine bekam einen fürchterlichen Schreck.
Nicht jetzt, nicht ausgerechnet jetzt.
Caine kniff die Augen zu, versuchte die visuelle Halluzination abzuschütteln. In diesem Moment packte ihn der Schwindel. Er hielt sich an einem an
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