Null
nickte, plötzlich schüchtern, und fragte sich, warum sie sich in Gegenwart dieses Mannes, den sie kaum kannte, so wohl fühlte.
«Und was passierte dann? Was hat man sich am Spezinstitute als Abschlussprüfung ausgedacht?»
«Ich musste einen Menschen töten», sagte Nava tonlos. «Er war ein Terrorist, ein afghanischer Rebell namens Khalid Myasi.»
«Und haben Sie es getan?»
«Ja», antwortete Nava. «Ich habe ihm zwei Kugeln in die Brust und eine in den Kopf gejagt, genau so, wie es mir beigebracht wurde.» Sie hatte es noch ganz deutlich vor Augen. Drei knappe Explosionen, als die einzelnen Kugeln aus der Mündung schossen. Myasis Todesschrei, abgewürgt durch das Blut, das seine Kehle emporquoll. Das dumpfe Gefühl, das sich in ihrer Brust breit machte, als sie über seinem leblosen Körper stand.
Es war nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie war weder von Triumph erfüllt, noch war ihr Rachewunsch abgeklungen. Aber der KGB kümmerte sich nicht darum. Man hatte sie erfolgreich in eine Tötungsmaschine verwandelt, und nun wollte man die neue Waffe unbedingt benutzen.
Manchmal musste sie die Rolle eines Schulmädchens spielen, manchmal die einer jugendlichen Prostituierten.Vor allem wurde sie zur Überwachung eingesetzt, aber wenn die Situation es erforderte, bat man die siebzehnjährige Tanja zu töten. Und das tat sie.
Da Tanja fließend Hebräisch, Farsi und Englisch sprach, beschloss die Partei an ihrem achtzehnten Geburtstag, sie nach Tel Aviv zu schicken. Sie lebte dort fast ein Jahr, ehe Saitzew sie anwies, Moishe Drizen zu ermorden. Der Mossad-Agent mit der angenehmen Stimme war Tanjas erstes Mordopfer, dessen Tod sie hinterher in Frage stellte.
Bei allen anderen waren die Gründe offensichtlich gewesen. Sie waren Feinde der Partei und selbst Mörder gewesen. Aber Drizen war anders. Nach der vorbereitenden Überwachung war es für Tanja offensichtlich, dass er weder antirussisch noch proterroristisch eingestellt war. Im Gegenteil, er war sogar selbst im Antiterrorkampf aktiv.
Doch als Tanja Saitzew fragte, aus welchem Grund Drizen den Tod verdient hatte, lautete seine Antwort nur: «Stelle die Entscheidungen der Partei nicht in Frage.»
Und so tat Tanja, wozu sie ausgebildet worden war – sie schnitt Drizen in einer Seitengasse die Kehle durch. Damals hatte sie es nicht gewusst, doch das war ihre letzte Prüfung gewesen. Am nächsten Tag sagte Saitzew ihr, dass sie nun bereit für den verdeckten Einsatz in den Vereinigten Staaten sei.
Tanja wurde einem russischen Agentenpaar zugeteilt, das zwanzig Jahre zuvor von der Partei als Schläfer nach Amerika geschickt worden war. Sie tarnten sich als Israelis, die sich entschlossen hatten, in die Staaten zu ziehen. Kurz nach ihrer Ankunft brachte die Frau ein Mädchen zur Welt. Sie nannten es Nava.
Nava führte ein ganz normales Leben – bis zum 7. Mai 1987, als sie auf mysteriöse Weise verschwand. Denis undTatjana Gromov – die mittlerweile Reuben und Leah Vaner hießen – waren außer sich. Aus Angst davor, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, wenn sie die Polizei einschalteten, bat Denis Gromov seinen Agentenführer beim KGB um Hilfe. Saitzew sagte ihm, dass er alles in seiner Macht Stehende unternehmen würde, um das siebzehnjährige Mädchen zu finden. Aber könnten die beiden ihm in der Zwischenzeit einen Gefallen tun?
Aus Sorge um die Sicherheit ihrer Tochter taten die Vaners, was Saitzew von ihnen verlangte. Sie zogen aus ihrer kleinen Wohnung in Ohio in einen Vorort von Boston und ließen das Leben zurück, das sie sich aufgebaut hatten. Einen Monat später erfuhren sie, dass ihre Tochter in Russland in Sicherheit war und dass sie in Sicherheit bliebe, wenn sie Tanja «adoptierten». Am nächsten Tag kam Tanja bei den Vaners an. Das war der Moment, in dem Tanja Kristina Aleksandrova aufhörte zu existieren und eine neue Nava Vaner geboren wurde.
Die Vaners erfüllten ihren Teil der Abmachung, nahmen ihre Adoptivtochter bei sich auf und brachten ihr bei, eine Amerikanerin zu sein. Nach den Sommerferien ging die neue Nava zur Highschool. Als es so weit war, sich an einem College zu bewerben, schlug sich Nava ausgezeichnet und wurde von sechs Universitäten im ganzen Land angenommen. Saitzew hielt es für das Beste, dass sie an der
University of Southern California
studierte, da diese Uni die «amerikanischste» sei. Vier Jahre später schloss sie ihr Studium in Arabisch und Russisch als Nebenfach mit Magna cum laude
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