Nullpunkt
war ein wenig verblüfft – er hatte nicht gewusst, dass Gonzalez seine Aktivitäten so gut im Auge behielt. «Ich kann nicht gut einschlafen ohne.»
«Überrascht mich nicht – angesichts dieser Verbindungsparty da unten.» Gonzalez runzelte die Stirn. Sein runder Kopf schien direkt auf den Schultern zu sitzen, und als er ihn nun missbilligend schüttelte, wölbten sich im Genick mächtige Muskeln.
Marshall lachte. «Sie sind ein wenig laut, zugegeben.»
«Verzeihung, Doktor, aber der Lärm ist noch das wenigste», erwiderte Gonzalez mürrisch. «Es sind einfach zu verdammt viele von ihnen. Wir hatten nicht halb so viele erwartet, und meine Basis leidet unter diesem Ansturm. Die Anlage ist alt, und sie wird nur für schwache Nutzung erhalten und gewartet. Das hier ist alles andere als eine schwache Nutzung. Wir sind nur zu viert, wir können diese Leute unmöglich alle bemuttern. Heute Nachmittag hat Marcelin einen von ihnen im militärischen Operationsbereich angetroffen, weit außerhalb der freigegebenen Sektionen.» Das Stirnrunzeln vertiefte sich. «Ich hätte nicht wenig Lust, eine formelle Beschwerde aufzusetzen.»
«Die Dinge müssten sich bald beruhigen, Sergeant. Ich glaube, bereits morgen reist ein Dutzend von ihnen wieder ab.» Er hatte gehört, dass die meisten Arbeiter zurück nach Süden fahren würden, sobald die schweren Arbeiten abgeschlossen waren.
Gonzalez grunzte. «Kann mir gar nicht schnell genug gehen.»
Marshall sah ihn grübelnd an.
Meine Basis
, hatte Gonzalez gesagt. Der Mann hatte allen Grund, besitzergreifend zu erscheinen. Er stand kurz vor der Pensionierung und hatte vermutlich mehr als zwanzig Jahre auf der Fear Base verbracht, in völliger Isolation, über dreihundert Kilometer nördlich vom Polarkreis – nahezu unglaublich. Ohne Zweifel konnten es die anderen Soldaten kaum erwarten, dass ihre Abordnung vorüber war. Vielleicht, sinnierte Marshall, war Gonzalez schon so lange hier gewesen, dass er sich gar nicht mehr vorstellen konnte, woanders zu sein. Oder vielleicht war er – wie Kari Ekberg vermutet hatte – ein Mann, der seine Privatsphäre schätzte.
Marshall winkte Gonzalez zu und ging zum Haupteingang.Das große externe Thermometer in der Wetterkammer zeigte minus fünfzehn Grad Celsius an. Marshall öffnete seinen Spind, zog seinen Parka, seine Balaklava, Schneestiefel und Handschuhe an, bevor er den Sammelraum durchquerte und die Außentür in die Nacht hinein aufstieß.
Der betonierte Vorplatz lag unter einem riesigen Sternenzelt. Marshall wartete einen Moment, um sich an die beißende Kälte zu gewöhnen, dann wanderte er los, die behandschuhten Hände in den Taschen, den Blick zu Boden gerichtet, um nicht über die kreuz und quer verlegten Stromkabel zu stolpern. Der Wind war völlig zum Erliegen gekommen, und ein zunehmender Mond tauchte die Landschaft in ein spektralblaues Licht. Weil sich die Filmcrew im Innern der Basis aufhielt, herrschte eine ungewöhnliche Stille zwischen den Lagerschuppen und Fertighallen. Alles schien zu schlafen. Das einzige Geräusch kam aus dem Generatorschuppen, wo die Stromerzeuger unter der ungewohnten Last durch die stromhungrigen Besucher brummten.
An der Umzäunung blieb Marshall stehen und blickte aufmerksam nach rechts und links. Seit ihrer Ankunft in der Basis hatte es mindestens ein halbes Dutzend Sichtungen von Polarbären gegeben, doch in dieser Nacht streiften keine dunklen Schatten über die endlose Weite des Permafrosts oder über die erkalteten, schneebedeckten Lavaströme. Marshall zog seine Kapuze enger ums Gesicht und schlenderte am leeren Wachhäuschen vorbei nach draußen. Er wanderte ziellos umher und ließ sich einfach treiben.
Bald stieg er das steile Tal hinauf in Richtung Gletscher. Sein Atem kondensierte in großen Wolken hinter ihm. Allmählich wurden seine Muskeln durch die Anstrengung wärmer und seine Schritte länger, und die Arme holten schwungvollaus. Eine gute Leibesertüchtigung. Vielleicht konnte er ja tatsächlich hinterher schlafen, trotz des Lärms, den die Filmleute erzeugten.
Fünfzehn Minuten später wurde der Anstieg ein wenig flacher. Die Maschinen waren beiseitegeschafft worden, und er hatte einen ungehinderten Ausblick auf die Gletscherfront, eine steile blaue Wand aus Eis, die im Mondlicht wie von einem inneren Feuer zu glühen schien. Und dort, in ihrem Schatten, lag die kleine schwarze Öffnung der Höhle …
Er hielt inne. Vor dem Eingang standen Gestalten. Drei Personen.
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