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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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sich so wie die Tür eines Banktresors. An der rechten Seite waren drei schwere Vorhängeschlösser befestigt – zweifellos vor allem um des visuellen Eindrucks wegen –, und genau in der Mitte der Front befand sich eine Wählscheibe. Daneben stand ein mit einem eigenen Vorhängeschloss gesicherter Metallkäfig mit einer Konsole voller Messgeräte und Regler zur Überwachung der Temperatur im Tresor.
    Einer von Contis Technikern, ein junger Bursche namens Hulce, näherte sich mit knirschenden schweren Schritten aus dem Gewirr von Schuppen und Außengebäuden. Er kontrollierte die Taschen sämtlicher Wissenschaftler und fand bei Faraday eine Digitalkamera.
    «Die hat er immer dabei», sagte Sully. «Manchmal denken wir, sie wurde ihm schon bei der Geburt chirurgisch implantiert.»
    Hulce beschlagnahmte die Kamera und nickte Conti zu.
    «Bitte drehen Sie sich um», forderte der Produzent die Wissenschaftler auf.
    Marshall tat es. Er hörte, wie die Nummernscheibe des Tresorschlosses gedreht wurde und wie ein schweres Schloss zurückschnappte. Drei deutliche Klicks verrieten ihm, dass auch die Vorhängeschlösser geöffnet wurden. «Sie dürfen sich wieder umdrehen», sagte Conti schließlich.
    Marshall drehte sich um und sah, wie Hulce die vordere Seite des Tresors aufzog. Ein Schaft aus brillantgelbem Licht flutete aus dem größer werdenden Spalt. Conti bedeutete den Wissenschaftlern einzutreten.
    Marshall folgte Sully, Faraday und Barbour die Stufen hinauf und ins Innere des Tresors. Conti bildete mit dem Techniker den Schluss. Der zog die Tür hinter sich zu. Es gab hierdrin nur wenig Platz zum Stehen: Der Eisblock nahm fast den gesamten Raum des Tresors ein. Die einzigen anderen Dinge im Tresor waren eine Batterie schmerzhaft greller Scheinwerfer in der Decke sowie ein tragbarer Heizstrahler an der Rückwand, der mit ziemlicher Sicherheit eingeschaltet werden würde, sobald die Zeit gekommen war, den Kadaver aufzutauen und ihn der Welt zu präsentieren.
    Der Fußboden fühlte sich zu nachgiebig an, um aus Stahl zu sein. Marshall sah nach unten und bemerkte überrascht, dass der Boden, abgesehen von den beiden stählernen Doppel- T-Trägern , die in einem Abstand von etwa anderthalb Metern parallel verliefen, aus Holz bestand – Holz, das silbern angemalt worden war, damit es aussah wie Metall. Es war übersät von winzigen Bohrlöchern, die zweifellos bei der Drainage des Schmelzwassers helfen sollten, sobald der automatische Auftauprozess seinen Lauf nahm. Marshall schüttelte den Kopf. Noch so ein Hollywood-Kunstgriff, genau wie die unnötigen Vorhängeschlösser: Die Kameras wurden zu keiner Zeit auf den Boden gerichtet, also war es überflüssig, den Boden mit Stahl zu bedecken; es hätte nur überflüssige Kosten verursacht.
    Conti nickte dem Techniker zu. Hulce zog die Plane vom Eisblock und ließ sie auf der Rückseite zu Boden gleiten. Als Marshall den Eisblock sah, verschlug es ihm fast den Atem.
    «Jesses!», murmelte er mit bebender Stimme.
    Die Seiten des Blocks waren rau und milchig wie zuvor. Die Vorderseite hingegen war während des Transportes – wohl durch Einwirkung der Plane – spiegelblank poliert. Es war die Seite mit den riesigen, gelb-schwarzen Augen, die voll unversöhnlichen Hasses nach draußen starrten. Doch das war es nicht, was ihm einen so heftigen Schock versetzte.
    Als Kind war er von einem wiederkehrenden Albtraum verfolgt worden. In diesem Traum wachte er zu Hause in seinem Bett auf. Er war allein: Seine Eltern, seine ältere Schwester, alle waren auf unerklärliche Weise verschwunden. Es war tief in der Nacht, der Strom war ausgefallen, und alle Fenster standen sperrangelweit offen. Das Haus war voller Nebel. Er schlug die Decke zurück und stand auf, immer und immer wieder, auch dann noch, als er es längst besser wusste. Alles an diesem Traum war schmerzhaft, unvergesslich real: der kalte Nebel auf seinem Gesicht, der harte kalte Holzboden unter seinen Füßen. Er trat aus seinem Zimmer in den Gang hinaus und stieg die Treppe hinunter. Der Absatz war voll dichter grauer Schwaden. Auf halbem Weg hielt er inne. Ein furchterregendes Ungeheuer kam die Treppe herauf und direkt auf ihn zu. Gewaltig, katzenhaft, mit brennenden Augen, scharfen Fängen und massiven Krallen. Er stand wie angewurzelt da, erfüllt von nacktem Entsetzen. Langsam, ganz langsam tauchte mehr von der Kreatur aus den Nebelschwaden auf: eine glatte, fettige Mähne, Schultern, unter denen sich die Muskeln

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