Nullpunkt
Schatten in den Schatten.
Langsam näherte er sich. Die drei sprachen miteinander; er hörte ihre gedämpfte Unterhaltung. Beim Geräusch seiner knirschenden Schritte drehten sie sich um, und zu seiner Überraschung erkannte er seine Wissenschaftler-Kollegen: Sully, Faraday und Penny Barbour. Nur Ang, der Aufbaustudent, fehlte. Es war, als hätten sie sich zu einer geheimen Zusammenkunft an der Stelle ihrer großen Entdeckung verabredet.
Sully nickte, als sich Marshall zu ihnen gesellte. «Netter Abend für einen Spaziergang», sagte er. Eines der Jagdgewehre der Expedition hing über seiner Schulter.
«Besser als der Irrsinn in der Basis», antwortete Marshall.
Wenn er erwartet hatte, dass der stets berechnende Sully protestieren würde, so hatte er sich geirrt. Der Klimatologe schnitt eine verdrießliche Grimasse. «Sie haben ein paar Einstellungen im taktischen Zentrum gefilmt, direkt neben meinem Labor. Sie haben so getan, als wären sie wir, das ist doch unmöglich! Mindestens ein Dutzend Einstellungen. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren.»
«Wo wir gerade vom Filmen reden – wie ist denn Ihr Interview gelaufen?», fragte Marshall.
Die säuerliche Miene Sullys vertiefte sich. «Conti hat mittendrin aufgehört. Der Tontechniker hat sich beschwert und gesagt – stellen Sie sich das vor! –, ich würde meine Worte herunterschlucken.»
Marshall nickte.
Sully sah Barbour an. «Ich schlucke keine Worte herunter, oder?»
«Diese dämlichen Trottel haben den Server heute Abend zum Absturz gebracht», sagte sie statt einer Antwort. «Als hätten sie nicht schon genügend eigene Laptops mitgebracht, nein, sie mussten auch unsere Rechenzeit in Beschlag nehmen! Haben irgendwas von ‹speziellen Rendering-Anforderungen› erzählt. Ich hätte große Lust, ihnen die Meinung zu sagen!»
«Als ich zum Abendessen ging, war nur noch ein einziger Stuhl frei», sagte Marshall.
«Wenigstens war einer frei», sagte Barbour. «Ich habe zehn Minuten gestanden und gewartet, bevor ich mir dann mein Essen eingepackt und es mit ins Labor genommen habe!»
Marshall sah Faraday an. Der Biologe beteiligte sich nicht an der Unterhaltung. Stattdessen starrte er gedankenverloren in die Höhle.
Und obwohl Marshall es besser wusste, hörte er sich fragen: «Und was halten Sie von der ganzen Sache, Wright?»
Faraday antwortete nicht, sondern starrte weiter unverwandt in den dunklen Rachen vor ihnen.
Marshall versetzte ihm einen sanften Schubs. «Hey, Faraday. Kommen Sie zurück ins Reich der Lebenden.»
Faraday wandte den Kopf und blinzelte. Im Mondlicht glänzten seine Brillengläser, und er starrte seine Kollegen an wie ein überraschtes, bebrilltes Alien. «Oh», sagte er. «Entschuldigung. Ich war in Gedanken.»
Sully seufzte. «Schön, dann erzählen Sie mal. Wie lautet die heutige Schreckenstheorie?»
«Keine Theorie. Lediglich eine Beobachtung.» Als niemand etwas sagte, fuhr er fort: «Gestern, als die Filmleute das Smilodon aus dem Eis geschnitten haben.»
«Ja», sagte Sully. «Wir waren dabei. Worauf wollen Sie hinaus?»
«Ich habe mit dem Sonarspektrometer ein paar Messungen durchgeführt. Sie wissen schon, die früheren Messungen mit dem Sensor, von oben nach unten, waren ziemlich ungenau, und weil ich Zugang zum Querschnitt hatte, wollte ich …»
«Wir verstehen, worauf Sie hinauswollen, Wright», sagte Sully und winkte mit seiner behandschuhten Hand ab.
«Nun ja, ich hab den Großteil des heutigen Nachmittags damit verbracht, die Messdaten zu analysieren. Und sie passen einfach nicht.»
«Passen nicht wozu?», fragte Marshall.
«Zu einem Smilodon.»
«Seien Sie nicht albern, Wright!», sagte Barbour. «Sie haben es doch selbst gesehen, oder nicht? Wie wir anderen alle auch, denke ich.»
«Ich habe nur sehr wenig gesehen, in einem extrem trüben Medium. Das Sonarspektrometer hat mir viel mehr Daten geliefert, die ich analysieren konnte.»
«Und was wollen Sie uns sagen?», fragte Marshall.
«Ich sage, was auch immer in diesem Eisblock eingeschlossen ist, es ist viel zu groß für einen Säbelzahntiger.»
Die Gruppe verstummte, während sie die Neuigkeit verdaute. Ein paar Sekunden später räusperte sich Sully. «Sie müssen sich täuschen, Wright. Irgendwelche Verschmutzungen, die Sie gesehen haben, vielleicht eine Linse aus Sand oderSteinen, eingefroren an einer Stelle, die den Kadaver größer erscheinen lässt.»
Wright schüttelte nur den Kopf.
«Wie viel
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