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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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und seinen ungeheuerlichen Vorhersagen spielte die Rolle meisterhaft. Marshall warf einen verstohlenen Blick auf den Biologen. Obwohl er ihn von der Universität her flüchtig als einen Kollegen kannte, wurde er doch nicht schlau aus dem Mann.
    Trotzdem, dachte Marshall, während er einen neuen Beutel füllte und verschloss und die Probennummer in einem Notizbuch vermerkte, trotzdem hatte Faraday nicht ganz unrecht. Und das war ein Grund, warum Marshall selbst mit beinahe panischem Fleiß Proben sammelte. Ein Gletscher bildete den perfekten Ort für seine Art von Forschung. Während seiner Entstehung, während er Schnee akkumulierte, fing der Gletscher zugleich organische Überreste ein: Pollen, Pflanzenfasern,Überreste von Tieren. Später, viel später, wenn der Gletscher sich wieder zurückzog und langsam schmolz, entließ er all seine Geheimnisse wieder in die Freiheit. Ein Paradies für einen Paläoökologen, eine Fundgrube aus der Vergangenheit.
    Nur dass am Rückzug dieses Gletschers nichts langsam oder graziös war. Er fiel praktisch auseinander, mit erschreckender Geschwindigkeit – und riss dabei seine Geheimnisse mit sich.
    Wie auf ein Stichwort hin gab es eine weitere ohrenbetäubende Explosion an der Gletscherfront. Eine zitternde Kaskade aus Eis regnete ins Meer. Marshall wandte den Kopf in Richtung des Geräuschs und verspürte eine Mischung aus Verärgerung und Ungeduld. Diesmal war eine viel größere Sektion des Gletschers heruntergebrochen. Mit einem Seufzer beugte er sich hinunter zu seinen Proben und starrte dann wieder zum Gletscher. Zwischen den geborstenen Eisbrocken an seiner Basis konnte er sehen, dass durch das Kalben ein Teil der Bergflanke unter der Eisdecke freigelegt worden war.
    Er blinzelte einen Moment. Dann rief er Faraday zu: «Sie haben doch den Feldstecher dabei, oder?»
    «Hier bei mir.»
    Der Biologe zog den Feldstecher aus der Tasche und hielt ihn mit schwerer behandschuhter Hand. Marshall nahm das Fernglas, hauchte die Okulare an, um sie aufzuwärmen, dann wischte er die Kondensation ab und hob den Feldstecher an die Augen, um den Gletscher genauer zu inspizieren.
    «Was gibt es denn?», fragte Faraday. Die Aufregung ließ seine Stimme zittern. «Was sehen Sie?»
    Marshall leckte sich über die Lippen, während er auf das starrte, was das herabstürzende Eis freigegeben hatte. «Eine Höhle», antwortete er. «Es ist eine Höhle.»

2
    Eine Stunde später standen sie vor den Eistrümmern am Fuß der Gletscherfront. Der gefrierende Regen hatte aufgehört, und eine schwache Sonne kämpfte darum, die metallgrauen Wolken zu durchdringen. Marshall rieb sich zitternd die Arme in dem Versuch, sich zu wärmen. Er blickte sich zu der versammelten Gruppe um. Sully war zurückgekehrt und hatte Ang Chen mitgebracht, den Aufbaustudenten des Teams. Mit Ausnahme von Penny Barbour, ihrer Computerspezialistin, war die gesamte Expedition vor dem Gletscherabbruch versammelt.
    Die Höhle lag direkt vor ihnen. Die schwarze Öffnung des Eingangs hob sich deutlich ab vom klaren Blau des Gletschereises. Es kam Marshall so vor, als blickte er in den Lauf einer gigantischen Kanone. Sully starrte hinein und kaute geistesabwesend auf der Unterlippe.
    «Ein beinahe perfekter Zylinder», bemerkte er.
    «Ohne Zweifel ein Abzweigkanal», sagte Faraday. «Der gesamte Mount Fear ist durchlöchert von diesen Kanälen.»
    «Die Basis vielleicht», verbesserte Marshall ihn. «Aber in dieser Höhe sind sie doch sehr ungewöhnlich.»
    Unvermittelt brach eine weitere Sektion des blauen Eises etwa einen Kilometer weiter im Süden von der Gletscherwand ab und stürzte in hausgroßen Brocken auf die Trümmerwüste darunter. Eine Wolke aus Eissplittern stob auf. Chen zuckte heftig zusammen, und Faraday hielt sich die Ohren zu. Marshall schnitt eine Grimasse, als der Berg unter seinen Füßen erzitterte.
    Es dauerte einige Minuten, bis das rollende Echo verklungen war. Als endlich wieder Stille herrschte, stieß Sully ein Grunzen aus. Er blickte von der Eiswand zum Höhleneingang zu Chen. «Haben Sie die Videokamera dabei?», fragte er.
    Chen nickte und klopfte auf die Ausrüstungstasche, die er über der Schulter trug.
    «Dann schalten Sie sie ein.»
    «Sie haben doch wohl nicht vor reinzugehen, oder etwa doch?», fragte Faraday.
    Anstelle einer Antwort richtete sich Sully zu seinen vollen eins fünfundsechzig auf, zog den Wanst ein und richtete die Kapuze seines Parkas, um sich für die Kamera bereit zu

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