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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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verstummte.
    Für einen Moment herrschte Stille. «Schockfrosten», sagte Ang Chen schließlich.
    «Genau», sagte Faraday. «Terminales Frosten.»
    «Je schneller der Gefriervorgang stattgefunden hat – wenn beispielsweise noch Höhenwinde zum Wärmeentzug beigetragen haben –, desto kleiner die Eiskristalle, die in den Zellen entstanden sind. Wenn es schnell genug passiert ist, wäre es vorstellbar, dass die Kreatur lebendig eingefroren wurde.» Marshall sah die beiden anderen Wissenschaftler an. «Glauben Sie, dass man dieses terminale Frosten umkehren könnte?»
    Faraday blinzelte. «Umkehren? Wie?»
    «Wenn es eine Inversionswetterlage im Sommer geben kann, einen Fallstrom superkalter Luft – könnte es nicht genauso gut einen Fallstrom
superwarmer Luft
im Winter geben?»
    Faraday nickte langsam. «Das wäre theoretisch möglich, ja.»
    «Und was, wenn dieses Phänomen tatsächlich eingetreten ist? Wenn es einen Fallstrom warmer Luft gegeben hat? Erinnern Sie sich, wie warm es draußen war in jener Nacht, bevor die Dokumentation live ausgestrahlt werden sollte?»
    Faraday nickte erneut.
    «Es muss nah am Gefrierpunkt gewesen sein.» Marshall ging wieder auf und ab. «Das Kälteaggregat des Tresors müsste sich eingeschaltet haben – aber wenn es sich um Eis-XV gehandelt hat, wäre das ohne Belang gewesen. Die Temperaturen wären immer noch hoch genug gewesen, um einen massiven Tauprozess einzuleiten.» Er zögerte. «Als Sie zurück zum Gletscher gegangen sind, um diese Proben zu holen – haben Sie in der Umgebung der Fundstelle Zeichen von Tauvorgängen bemerkt?»
    «Nein.»
    «Hmmm. Es ist natürlich kälter dort oben beim Gletscher ...» Marshall hielt inne, schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht, Roger. Ihre Theorie ist brillant – aber sie scheint mir trotzdem ziemlich weit hergeholt.»
    Faraday hielt das Phasendiagramm hoch. «Die Kristallstruktur lügt nicht, Evan. Wir haben die Röntgenbeugung am Eis selbst vorgenommen.»
    Alle schwiegen. Marshall betrachtete das Diagramm, dann legte er es wortlos auf den Tisch.
    «Wenn Sie recht haben mit der Inversion, mit der superwarmen Luft …», begann Faraday langsam, «… könnte das noch etwas anderes erklären.»
    «Was?», wollte Marshall wissen.
    «Was wir in jener Nacht am Himmel gesehen haben.»
    «Sie meinen die bizarre Aurora borealis? Glauben Sie, dass das ein Nebeneffekt war?»
    «Entweder ein Nebeneffekt oder ein Auslöser», sagte Faraday. «Oder ein erstes Zeichen.»
    Erneutes Schweigen. Faraday dachte an die Warnung des alten Schamanen.
Ihr Zorn malt den Himmel blutig rot. Der Himmel schreit vor Schmerz wie eine Frau in den Wehen …
    «Was ist mit dem Blut?», fragte er. «An den Holzsplittern des Tresorbodens?»
    «Wir waren bis jetzt zu sehr damit beschäftigt, das Eis zu analysieren, um uns darum zu kümmern.»
    Wieder Schweigen.
    «Schön, Sie waren beschäftigt», sagte Marshall schließlich. «Aber es bleiben immer noch zwei Fragen unbeantwortet: Wenn diese ungewöhnliche Form von Eis großen Druck oder extreme Temperaturen braucht, wie kam das eine oder andere hier am Gletscher zustande?»
    Faraday nahm seine Brille ab, polierte sie an seiner Krawatteund setzte sie wieder auf. «Ich weiß es nicht», sagte er leise.
    Die drei sahen einander für einen Moment an. «Sie sagten etwas von zwei Fragen?», sagte Chen.
    «Ja. Wenn Ihre Spekulationen richtig sind und die Kreatur noch am Leben ist und auf freiem Fuß – wo steckt sie jetzt?»
    Die Frage hing in der Luft. Und diesmal nahm das Schweigen kein Ende.

29
    Als sich die Nachricht von Peters’ Tod innerhalb der Basis verbreitete, begannen die Leute beinahe unbewusst ihre Quartiere zu verlassen und sich in den größeren Räumlichkeiten der B-Ebene zu versammeln, um in der Gesellschaft anderer Trost zu suchen. Sie saßen in der Offiziersmesse an den großen Tischen und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen, erzählten einander Anekdoten über die unerhörten Dinge, die Josh gesagt oder getan hatte, dumme technische Fehler, die ihm unterlaufen waren. Andere hingen im Operationszentrum herum, tranken lauwarmen Kaffee, spekulierten, wann der Blizzard wohl endlich abziehen würde, und schworen sich finster, ein Jagdteam zusammenzustellen, das nach draußen gehen und den Polarbären zur Strecke bringen würde, der den unglückseligen Produktionsassistenten zerrissen hatte. Die gedrückte Atmosphäre verstärkte das Gefühl noch weiter, in einer eisigen Einöde gestrandet zu sein,

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