Nullzeit
Idee.« Theo hatte ein Notizbuch auf den Knien und schrieb. »Guter Titel.«
»Ich kann die Lotte schaffen«, sagte Jola. »Es ist nur eine Frage des Willens.«
»Erst wenn du weißt, was Nullzeit ist«, sagte ich. »Bis Puerto del Carmen habt ihr es verstanden.«
Ich legte den Gang ein und trat aufs Gas.
Wir gingen erst einmal ohne Ausrüstung die Straße zur Playa Chica hinunter. Ich zeigte ihnen eine Boje, die etwa siebzig Meter entfernt vom Ufer im Wasser lag.
»Einfach hin und zurück?«, fragte Jola.
»In gemütlichem Tempo«, sagte ich.
»Wir haben schon Taucherfahrung«, protestierte Theo.
»Ich will mir nur ein Bild von eurer körperlichen Verfassung machen«, sagte ich.
Jola hatte das ärmellose Hemd schon über den Kopf gezogen, stieg aus der Jeans und stand im Bikini da. Theo sah sich um, als suchte er seinen Kammerdiener. Oder wenigstens eine Umkleidekabine. Ich nahm ihm das Sakko seines Leinenanzugs ab.
Während er auf einem Bein hüpfte, um aus der Hose zu steigen, betrachtete ich seine Freundin. In meinem Beruf hatte ich viel mit Körpern zu tun. Die meisten Kunden zogen sich schlecht versteckt hinter dem Heck meines VW-Busses um. Standen da in grauen Socken und ausgeleierten Unterhosen. Schauten zu Boden, weil sie sich ihrer Dellen, Falten und Flecken schämten. Jola hingegen versteckte sich nicht. Sie stand mitten auf dem Kai, kniff die Augen zusammen und blickte zum Horizont. Sie war perfekt, eine lebendige Statue. Durchtrainiert und trotzdem weich. Ich versicherte mir, dass das kein Urteil meinerseits darstellte. Es war einfach eine Tatsache. Ich wusste, was ein solcher Körper kostete. Nicht nur Zeit, Geld und Disziplin, sondern auch einen Sinn für das richtige Maß der Dinge. Die Erkenntnis, dass Schönheit nicht im Extrem, sondern in der Balance zu suchen ist. Jola hatte ihren Körper wie eine Künstlerin gestaltet. Offen bewunderte ich das Ergebnis. Am liebsten hätte ich ihr ein Lob ausgesprochen, von Experte zu Expertin, aber die Gefahr eines Missverständnisses war zu groß.
»Geh aus der Sonne«, sagte Theo zu Jola. »Man sieht deine Orangenhaut.«
Jola ging in die Knie und war kopfüber von der Kaimauer gesprungen, bevor ich sie zur Ordnung rufen konnte. Ich überlegte, ob ich die Übung abbrechen und einen Vortrag über Sicherheit halten sollte. Als Seglerin konnte Jola vielleicht einschätzen, wie tief das Wasser vor einem Anlegeplatz war. Trotzdem gehörte die Überprüfung vor einem Sprung zur Routine. Ich entschied mich gegen eine Standpauke; es war ihr erster Tag. Theo stieg, eine Hand am Geländer, Stufe für Stufe die Treppe zum Wasser hinunter.
Während Jola in ruhigen Zügen kraulte, übte sich Theo in einem Wechsel aus Brust- und Rückenschwimmen. Jola hatte bereits die Hälfte des Rückwegs geschafft, als er gerade die Boje erreichte. Sie drehte sich auf den Rücken, um auf ihn zu warten.
»Na, du lahme Ente«, rief sie, paddelte mit den Füßen und spritzte ihm Wasser ins Gesicht. Danach floh sie lachend, nicht zurück zum Kai, sondern ein Stück weiter Richtung Strand. Erst im flachen Wasser holte er sie ein. Sie wehrte sich, quietschte, schlug um sich; er hielt ihre Taille umklammert. Ich griff nicht ein. Sie wirkten wie balgende Kinder. Ich glaubte, sie lachen zu hören. Dann hob Theo seine Freundin hoch und warf sie von sich. Jola schrie auf. Im seichten Wasser befanden sich Felsen, dicht an dicht mit Seeigeln besetzt. Theo kam heraus, zog, nass wie er war, das Leinensakko an, und lief über die Promenade zu den öffentlichen Toiletten.
Ich erschrak, als ich Jola humpeln sah. Während sie auf mich zukam, hob sie beschwichtigend die Hand. Wir setzten uns auf eine Bank an der Kaimauer, ich nahm ihren Fuß auf meine Knie. Der Stachel des Seeigels war in die Fußsohle eingedrungen und abgebrochen. Ich klappte mein Taschenmesser auf und bemühte mich, ihren Fuß wie einen Gegenstand zu halten. Als ich den Stachel zu fassen bekam und zog, blickte sie mir direkt ins Gesicht.
»Ab jetzt kein Herumalbern mehr«, sagte ich. »Da kann so was leicht passieren.«
»Glaub mir.« Sie rieb ihren Fuß. »Das war Absicht.«
Die Parkplätze rings um die Playa Chica waren nach einem ungeschriebenen Gesetz verteilt. Bernies weißer Transit mit der Aufschrift »WonderDive« parkte im Halteverbot an der Treppe zur Promenade; er und seine Leute waren schon im Wasser. Mein Wagen stand wie immer in der Einfahrt des alten Spaniers, der einmal am Tag aus dem Haus kam, um mir
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