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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zeh
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mich denn …? Antwort: Höchstens Sven. Ich werde dafür sorgen, dass er immer in der Nähe bleibt. Wie leid er mir tat, als er sich so aufregen musste über uns! Stand da inmitten der Trümmer seiner kleinen Tauchlehrer-Welt und zitterte vor Wut. Ich war fassungslos über seine Fassungslosigkeit. Weil ich verstand, dass er uns nicht verstand. Sven ist ein Mensch, der niemals jemandem die Luft abdrehen würde. Er wusste nicht einmal, dass es Leute gibt, die so etwas tun. Plötzlich fühlte ich eine Art Sehnsucht. Ich werde mir Mühe geben, ihm zuliebe. Und Lotte zuliebe. Unter Wasser war ich ihr so nah. Wach und beweglich wie ein Fisch. Während Theo wie ein Kartoffelsack im Wasser trieb.
    Wir müssen nicht Urlaub machen. Der alte Mann könnte sich vornehmen, ein Buch über die Insel zu schreiben. Ich kann für Lotte trainieren. Das ist das Schöne an künstlerischen Berufen. Man kann alles Arbeit nennen und es dann scheiße finden, ohne enttäuscht zu sein.

5
    D as Lobster’s Paradise war ein Geheimtipp. Einer von der Sorte, für die man ein paar Tage im Voraus reservieren musste. Jedenfalls wenn man kein Freund von Geoffrey war. Geoffrey kam aus Nordirland und hatte irgendwann genug gehabt vom Krieg. Sein Lebensgefährte Sascha war vor zwanzig Jahren Profihandballer in der jugoslawischen Nationalmannschaft gewesen. Als auch dort Krieg ausbrach, hatte er sich von einem spanischen Verein kaufen lassen. Inzwischen leitete er tagsüber eine Paragliding-Schule in der Nähe von Famara und half abends im Restaurant. Die halbe Insel wurde von Auswanderern betrieben. Die meisten von uns hielten zusammen, weshalb ich im Lobster’s immer einen Platz bekam.
    Mit seinem Konzept verdiente sich Geoffrey eine goldene Nase. Das Lobster’s lag im Nirgendwo, mitten im zerklüfteten Lavagestein im Umkreis des Famara-Massivs. Es gab keine Hinweisschilder; die letzten dreihundert Meter ging man zu Fuß. Drinnen war es immer zu voll und zu warm. Angeboten wurden zwei Gerichte: Hummer und Kaninchen. Niemand bestellte Kaninchen.
    Sie hatten darauf bestanden, mich einzuladen. Nach dem Vorfall am Vormittag verspürte ich wenig Lust, mit ihnen auszugehen. Aber es gehörte zu unserer Abmachung, dass ich rund um die Uhr für Freizeitaktivitäten zur Verfügung stand. Nachdem ich sie zum Lobster’s gefahren und zum Eingang begleitet hatte, konnte ich schlecht draußen warten.
    Sie gaben sich Mühe. Theo hielt die Tür auf und rückte Jola den Stuhl zurecht. Sie trug ein blaues Band im Haar, das sie nett und ein wenig altmodisch aussehen ließ. Geoffrey war entzückt, mit Theo über die Weinkarte fachsimpeln zu können, und brachte neben der bestellten Flasche eine weitere zum Probieren. Gegen meinen Protest schenkte Theo mir ein, und ich musste zugeben, dass der Wein ausgezeichnet schmeckte.
    Danach erzählten sie von zu Hause. Besser gesagt, Theo erzählte, während Jola ihn aufmerksam ansah, beide Hände auf dem Tisch wie eine wohlerzogene Ehefrau. Der Wein und ihre Blicke brachten ihn in Fahrt, er redete wie ein Wasserfall.
    Als Schriftsteller, sagte Theo, sei er im Grunde eine Art Großunternehmer. Zigtausend Menschen lebten von seiner Arbeit. Verlagsmitarbeiter, Buchhändler, Bibliothekare, Lektoren, Kritiker, Übersetzer, Drucker, Kulturredakteure beim Fernsehen und Radio, weiterhin der komplette Theaterbetrieb samt Schauspielern, Dramaturgen, Regisseuren und Bühnentechnikern sowie die gesamte Filmbranche – sie alle existierten nur zur Verwertung von Texten. Und wer sei der Autor? Ein Nichts. Das schwächste Glied der Nahrungskette. Verachtet, verlacht, selten gefeiert, meistens ignoriert. Ein Niemand, der sich nachts am Schreibtisch quäle, um sich am Ende von künstlerisch Impotenten eine Nullnummer schimpfen zu lassen.
    Jola legte ihm eine Hand auf den Arm und bemerkte, dass er von vielen Rezensenten nicht als Nullnummer, sondern als Hoffnungsträger bezeichnet worden sei.
    Es gehe ums Prinzip, beharrte Theo. Woher nehme ein Mensch, der es künstlerisch zu nichts gebracht habe, das Recht, die Arbeit eines anderen zu beurteilen? Auch der lobende Kritiker finde sich selbst wichtiger als den von ihm beurteilten Autor. Eine verkehrte Welt, die einen das Gruseln als Seinsform lehre.
    Das Gefühl kannte ich. Wenn ich mir Theos Leben ausmalte, ein Rädchen im Getriebe der großen Beurteilungsmaschine, stellten sich mir die Nackenhaare auf.
    Prinzipiell, sagte Jola, habe Theo schon recht. Bei ihr sei es ähnlich: Jeder Vollidiot, der

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