Nullzeit
mitzuteilen, was er mit mir anstellen würde, wenn ich seinen Zaun beschädigte. Theo wartete an den VW-Bus gelehnt. Er nahm die Zigarette aus dem Mund, um Jola auf die Stirn zu küssen, woraufhin sie sich an ihn schmiegte. Ab jetzt sei Schluss mit Späßen, erklärte ich, und beide nickten, als hätten sie verstanden. Ich breitete die Plane am Boden aus und verteilte Nassanzüge, Tarierjackets, Flaschen, Flossen und Masken. Zog die Shorts aus und schlüpfte in die Sandalen. Flüchtig ließ Jola den Blick über meine Badehose streifen.
»Guck mal«, sagte sie zu Theo, »das nenne ich Equipment.«
Die Art, wie sie »das« betonte, konnte ein männliches Ego beerdigen. Aber Theo schaute weiterhin stirnrunzelnd auf Lungenautomaten und Inflatorschläuche und versuchte sich zu erinnern, wie diese Dinge funktionierten. Mit den weiten Badeshorts, die vom Bauch abwärts alles kaschierten, würde er nur schwer in den Neoprenanzug kommen.
Zur Auffrischung ihrer Kenntnisse absolvierte ich das komplette Anfängerprogramm. Zeigte ihnen, wie sie mit dem Inflator Luft in ihre Tarierjackets pumpen und wieder ablassen konnten. Wie man den Lungenautomaten anschloss, durch den sie atmen würden und der die Luft aus der Flasche auf Umgebungsdruck brachte. Wie man die Flasche im Tarierjacket verschnallte und sich das Ganze auf den Rücken hob. Besonderen Wert legte ich auf die Grundprinzipien: Sorgfalt, Voraussicht und Kooperation zwischen den Tauchpartnern. Sie hörten zu, stellten Fragen und halfen sich gegenseitig beim Anlegen der Ausrüstung.
Eine Stunde später trieben sie in ihren aufgeblasenen Tarierjackets wie zwei Korken im Wasser. Ich erklärte die Handzeichen, ließ sie auf dem Finimeter den Füllstand ihrer Flaschen ablesen und die Masken ausblasen. Wir übten, uns im Notfall gegenseitig mit Luft zu versorgen, indem wir einander den sogenannten Oktopus reichten, einen zweiten Lungenautomaten, durch den man aus der Flasche des Tauchpartners atmen konnte. Sie machten ihre Sache gut. Wir schwammen ein Stück hinaus in die Bucht. Ich formte Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis: das Signal für »ok«. Sie wiederholten die Geste zum Zeichen, dass alles in Ordnung war. Wir gingen runter.
In kaum drei Metern Tiefe knieten wir am Grund. Sie atmeten beide etwas zu hastig und hielten den Lungenautomaten mit einer Hand, als könnte er ihnen sonst aus dem Mund fallen. Aber für Anfänger war das normal. Die meisten Kunden erlebten einen kleinen Schock, wenn sie zum ersten Mal unter Wasser atmeten. Danach schieden sich die Geister. Die einen durchliefen eine unglaubliche Euphorie, eine Art geistigen Orgasmus, ausgelöst durch die Tatsache, dass sie dem feindlichen Element mithilfe der Technik ein Schnippchen schlugen. Vollständig eingeschlossen von Wasser und trotzdem frei atmend wie ein Fisch. Zu Gast in einem fremden Universum. Die anderen fühlten sich unwohl. Sie spürten, dass sie nicht in diese Welt gehörten, trauten dem Apparat nicht, der sie mit Sauerstoff versorgte, und wurden von dem Gefühl bedrängt, sofort an die Oberfläche zurückkehren zu müssen. Solchen Menschen fehlte unter Wasser die Ruhe. Nur mit viel Übung wurden aus ihnen gute Taucher.
Mir war sofort klar, wer von beiden in welche Kategorie gehörte. Auf Theos Gesicht erkannte ich trotz der Maske ein strahlendes Lächeln. Seine Knie berührten den Grund nur leicht, er war bereits dabei, sich der Schwerelosigkeit zu überlassen. Sein Blick folgte einem Papageienfisch, der langsam näher kam, uns musterte, noch einmal prüfend in Theos Brille schaute und sich schließlich in Richtung der erstarrten Lavaströme entfernte. Ich wusste, was Theo empfand. Einen der glücklichsten Momente seines Lebens.
Jola hingegen drehte hektisch den Kopf hin und her, als könnte aus jeder Richtung ein Angriff erfolgen. Ihre Flossen wirbelten Sand auf, der ihr die Sicht trübte. Mit der einen Hand hielt sie den Lungenautomaten fest, mit der anderen führte sie wedelnde Bewegungen aus, um das Gleichgewicht zu halten. Ich schwamm dicht an sie heran und zeigte das »ok«-Zeichen. Mehrere Sekunden sah sie mich verständnislos an, bevor sie das Signal erwiderte. Um sie abzulenken, stellte ich ihr kleine Aufgaben. Ein paar Meter schwimmen, Inflator bedienen, Finimeter und Tiefenmesser ablesen. Machte vor, wie sie sich durch bewusstes Ein- und Ausatmen im Wasser balancieren konnte. Zeigte auf ein paar Sardinen, die in einiger Entfernung wie glitzernde Blitze durchs Wasser schossen.
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