Nullzeit
Sympathischen hängte. Ich spulte vor. Die Inhaltsangabe hatte einen Auftritt von Bella Schweig versprochen. Emils kalte Füße bewegten sich in meiner Armbeuge, dann saß er wieder still.
Bella stand vor einer Wohnungstür und biss sich auf die Lippen. Sie trug ein schrill bedrucktes, etwas zu jugendliches Kleid, das ihre Figur jedoch angemessen präsentierte. Endlich hatte ich Zeit, sie in Ruhe anzusehen. Ich konnte da sitzen und jedes Detail ihres Gesichts, jede Regung ihres Körpers betrachten. Mit beiden Händen brachte sie ihr Haar in Unordnung. Sie rieb sich die Augen und kniff sich in die Wangen. Als die Kamera sie wieder in Großaufnahme zeigte, war ihr Make-up verschmiert, und Tränen liefen ihr über das Gesicht. Dann klingelte sie. Ich saß wie gebannt. Schmerz zog mir den Brustkorb zusammen. Ich hatte mich nicht getäuscht. Natürlich war sie schöner als alle Frauen, die ich kannte. Aber jenseits dieser Schönheit gab es etwas, das tiefer ging. Etwas, das mich rührte. Man wollte ihr ständig zurufen: Du musst das nicht tun.
Ein älterer gut aussehender Mann mit angegrauten Schläfen öffnete die Tür. Ich mochte seinen grauen glatt gestrickten Pullover und die dunklen Jeans. Aus dem Gespräch ergab sich, dass er Bellas Ex-Freund war und sie nicht reinlassen wollte. Aber sie weinte hemmungslos und warf sich schließlich in seine Arme. Sie sei nur zufällig in der Gegend gewesen und unten auf der Straße Zeugin eines schrecklichen Unfalls geworden. Ein Lkw habe einen Radfahrer überrollt. Überall Blut. Dann erlitt sie einen Schwächeanfall.
Ich fand, dass sie das ganz gut machte. Und freute mich für sie, dass ihr Spielpartner etwas vernünftiger wirkte als die beiden Vollidioten aus dem Café.
Er trug sie zur Couch und legte ihr die Füße hoch. Offensichtlich war er Arzt. Mit der einen Hand berührte er ihre Stirn, mit der anderen ihren Bauch. Der Schmerz in meiner Brust verstärkte sich. Ich schaltete den Rechner ab und blieb noch eine Weile im Dunkeln sitzen. Emil verließ meinen Arm, ohne dass ich ihn anstupsen musste, und kletterte auf den leise knisternden Monitor.
Als mein Handy piepste, war ich mit einem Satz am Fenster und sah durch die Vorhänge. Die Casa Raya lag in absoluter Dunkelheit. Kein Licht drang durch die Fensterläden, nichts regte sich im Garten. Ich öffnete die SMS.
»Kann auch nicht schlafen. Denke an dich. J.«
Lange stand ich reglos. Das Display des Handys erlosch. Vor der Tür hörte ich Todd schnaufen. Es gab nichts, was ich als Nächstes hätte tun können.
10
A n den folgenden Tagen fühlte ich mich, als hätte ich Fie- ber. Diese typische Mischung aus Schwäche, Verwirrung und nervösem Glück. Eigentlich kein unangenehmes Gefühl. Plötzlich trat die ganze Welt einen Schritt zurück. Es war, als würde man einen Film betrachten, in dem man selbst die Hauptrolle spielte. Als wäre das Leben ein unterhaltsames Abenteuer ohne Konsequenzen. Meine Mutter nannte das »Scheiß-Egal-Stimmung«. Sie sagte: In dieser Scheiß-Egal-Stimmung gehst du mir nicht aus dem Haus. Leg dich ins Bett und warte, bis du wieder klar denken kannst.
Natürlich litt ich nicht wirklich unter Fieber. Trotzdem fällt es mir im Rückblick nicht leicht, die Ereignisse korrekt zu beschreiben. Die Tage bis zum Abendessen auf der Dorset , wo, wie ich heute glaube, alle Entscheidungen fielen, fließen ineinander, weigern sich, eine klare Reihenfolge einzunehmen, versuchen, einen Zustand ohne Anfang und Ende zu bilden. In den Nächten wartete ich, bis Antje eingeschlafen war, und setzte mich vor den Computer, um mir ein paar Folgen von »Auf und Ab« anzusehen. Ich nahm Emil auf den Arm und holte meinen Schwanz aus den Boxershorts. Es gefiel mir, darauf zu warten, dass Bella endlich auftrat. Überhaupt ließ ich mir Zeit. Drei komplette Folgen hielt ich durch. Als ich fertig war, zeigte die Uhr nach eins, und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich legte mich auf die Couch und dachte darüber nach, ob meine neue Leidenschaft für »Auf und Ab« die Zusammenarbeit mit Theo und Jola störte. Nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Schluss, dass es nichts mit meinen Geschäftsbeziehungen zu tun haben konnte, was ich in meiner Freizeit unternahm. Kein Rechtsanwalt legte sein Mandat nieder, nur weil er Phantasien über eine gut gebaute Auftraggeberin hatte.
Zusammenfassend ließe sich vielleicht sagen: Nur unter Wasser war alles beim Alten. Theo war wieder mit von der Partie. Trotz Schnupfen
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