Nullzeit
von meinen Knien gestoßen, aber das hätte wie ein Schuldeingeständnis gewirkt. Also blieb sie sitzen, während Bernie und ich kurz über die geplante Expedition sprachen. Die Aberdeen war flott, Dave wusste Bescheid. Wenn sich das Wetter hielt, sollte es am 23. keine Probleme geben.
»As easy as a walk in the park.«
Bernie nickte Theo zu und ging zur Theke, um sich ein Stück Schokoladenkuchen auszusuchen. Als hätte er Jola nicht gesehen.
Ein anderes Mal stand sie vor mir und suchte den Autoschlüssel in den Taschen meiner Jeans. Bevor ich ihre Hände festhalten konnte, bog Bernies Kumpel Dave um die Ecke. Er schaute in eine andere Richtung und grüßte nicht. Auf der Promenade von Puerteo del Carmen hing Jola an meinem Arm, als uns eine Gruppe Spanierinnen entgegenkam. Ich glaubte, zwei von Antjes Freundinnen zu erkennen, auch wenn ich mir bei bunten Kleidern, großen Nasen und dicken schwarzen Haaren nie ganz sicher war.
Die Insel war ein Dorf. Man kannte sich. Nichts passierte unbemerkt. Das Seltsame war, dass eigentlich gar nichts passierte, aber eben nicht unbemerkt. Ich fing an, mich permanent beobachtet zu fühlen.
Während wir auf Theo warteten, der irgendwo Zigaretten holte, bat ich Jola ausdrücklich, damit aufzuhören.
»Womit genau?« Sie nahm meine Hand.
»Genau damit!« Ich zog die Hand weg.
»Vielleicht bin ich nur ein bisschen ehrlicher als du.« Sie griff nach meiner anderen Hand und legte sie auf ihre Hüfte. »Sag mir, dass sich das schlecht anfühlt.«
Es war immer dasselbe: In diesem Moment fuhr ein silberner Land Rover Defender vorbei. Es gab nur einen silbernen Defender auf der Insel, und den fuhr Geoffrey vom Lobster’s. Konnte Jola das wissen? Konnte sie ihn vor mir gesehen haben? Oder wurde ich paranoid? Die Sonne verwandelte Jolas Augen in grünes Glas. Ich sah gern hinein. Auch konnte ich nicht behaupten, dass ihre Hüfte sich schlecht anfühlte. Im Gegenteil. Theo kam aus dem Laden, kurz bevor ich sie losließ.
»Lass dich nur nicht stören, kleiner Scheißer«, sagte er.
Noch seltsamer war, dass Jola in diesen Tagen so unbeschwert wirkte. Sie lachte viel. Frisch verliebt, hätte Antje mit ihrer simpel gestrickten Menschenkenntnis geurteilt. Auch wenn es keinen Sinn ergab – Jolas strahlendes Lächeln machte mich stolz. Ihre Miene verdüsterte sich nur, wenn sie Theo ansah. Theo, der mich nur noch »kleiner Scheißer« nannte und seltsamen Genuss aus der Situation zu ziehen schien. Jede unserer Bewegungen verfolgte er mit Blicken, lächelte krankhaft, wenn Jola mich berührte, und wartete gierig darauf, was als Nächstes geschah. Ich wollte mir kein Urteil bilden, aber dieser Mangel an Stolz wirkte abstoßend. Theos Gegenwart zerrte an meinen Nerven. Als wäre ich permanent einer giftigen Strahlung ausgesetzt. Dabei verstand ich nicht, was er von mir wollte. Was auch immer Jola ihm erzählt hatte – es stand ihm frei, sich einen anderen Tauchlehrer zu suchen oder die Insel zu verlassen. Solange er meine Dienste in Anspruch nahm, konnte ich nichts weiter tun, als meinen Job so anständig wie möglich zu machen. Dass ich versuchte, mir Jola vom Leib zu halten, ließ sich kaum übersehen. Ich drängte mich nicht zwischen die Fronten. Es war Jola, die sich aufdringlich benahm. Auch dass wir drei fast rund um die Uhr aneinander hingen und uns eigentlich nur zum Schlafen trennten, war nicht meine Schuld. Nach dem Tauchen wollten beide nicht nach Hause. Ich kutschierte sie quer über die Insel und gab mir Mühe, aus den mageren Sehenswürdigkeiten das Bestmögliche herauszuholen. Wir aßen Ente in der ehemaligen Villa von Omar Sharif. Wir blickten ins grüne Wasser des Kraters »El Golfo«. Wir klapperten sämtliche Hinterlassenschaften des Inselkünstlers ab. Auf der einen Seite Jolas erhitztes Geschnatter, auf der anderen Theos eisiges Schweigen. Ich sagte mir, dass nur ein Idiot hätte erwarten können, 14.000 Euro für ein paar Tauchstunden zu kassieren. Bezahlt wurde ich für den Umgang mit zwei Neurotikern, die geahnt hatten, dass sie im Urlaub beaufsichtigt werden mussten. Entgegen Theos Vermutung war ich nicht so dumm, mich selbst für das Problem zu halten. Wenn Jola in aller Öffentlichkeit meine Hand nahm, wusste ich, dass sie es für ihn tat.
In diesen Tagen dachte ich häufig an eine Talkshow, die Antje und ich vor Jahren gesehen hatten. Auf einer weißen Couch hatte ein Paar gesessen und über sadomasochistische Neigungen gesprochen. Die beiden waren Ende
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