Nullzeit
Stadler. Antje lachte, als ich fragte, wer das sei.
»Fahr doch nach Puerto Calero und guck sie dir an.«
»Spinnst du?«, fragte ich. »Was habe ich davon?«
Und da waren wir. Es war Jolas Idee gewesen, so wie alles, was wir in den letzten Tagen unternommen hatten. Über ihrer Insektensonnenbrille trug sie einen kunstvollen Turban, was sie »inkognito« nannte. Noch in der Hölle hätte ich sie an ihrer Zahnlücke erkannt.
»Ich freue mich auf die doofen Gesichter«, sagte sie.
»Das musst du dir vorstellen, Sven«, fügte Theo hinzu. »Die warten zwei Stunden, und dann nur B-Prominenz.«
Es war das erste Mal seit zwei Tagen, dass Theo mich nicht »kleiner Scheißer« nannte. In seinen Augen glänzte eine Vorfreude, die ich auch unter Jolas Sonnenbrille vermutete. Die Dorset schien beiden etwas zu bedeuten.
»Bittmann macht das immer so«, erklärte Jola. »Er sammelt ein bisschen Kulturschickeria ein, schippert um die halbe Welt und faxt seine Gästeliste an die Nachrichtenagenturen. Die berühmteste Person auf der Liste ist dann in Wahrheit nicht dabei.«
Beim Gedanken an deutsche Prominente wurde mir übel vor Gleichgültigkeit. Ich verstand nicht, was so lustig daran war, ein paar Inseltouristen beim vergeblichen Warten auf Yvette Stadler zuzusehen. Aber Theo und Jola waren zum ersten Mal seit Tagen aus demselben Grund gut gelaunt, und in der Gruppe von Wartenden entdeckte ich Dave. Er war groß genug, um die kleine Menge, in der er stand, um Haupteslänge zu überragen. Theos Arm lag immer noch um Jolas Schultern. Eine bessere Aufstellung, um sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, konnte ich mir nicht wünschen. Vielleicht hatten wir sogar einen Wendepunkt erreicht. Vielleicht hatte Jola mich in den letzten Tagen nur benutzt, um Theo zurückzugewinnen. Frauen machten so etwas. Ein letztlich harmloser Trick, der geradewegs zurück in die Normalität führte.
»Dave!«
Er drehte sich zu uns um, und ich konnte sehen, was sein Verstand registrierte und in welcher Reihenfolge: mich, dann Jola und Theo, dann die Tatsache, dass sie Arm in Arm gingen, während ich, die Hände in den Hosentaschen, entspannt und lachend nebenher schlenderte.
»Hey«, sagte ich und klopfte Dave auf die Schulter. »What the fuck are you doing here?«
»Just paying my respects to a world-famous beauty.«
»Yvette Stadler? Don’t tell me you’re a fan.«
»Christ, no.« Dave lachte. »I’m here for the boat!«
»The Dorset is the world’s largest gaff cutter«, erklärte Jola mir. »Built in 1920, meticulously restored and relaunched in 2006. Sails under British flag.«
Im Blick, den Dave ihr zuwarf, lag tiefes Erstaunen. Als hätte sich Jola soeben vor seinen Augen von einer sprechenden Puppe in einen echten Menschen verwandelt.
»So you’ve heard of the Dorset ?«
»She’s a legend! She held her own against modern boats at the Superyacht Cup in 2007, then took two first places at the Saint Tropez Regatta the following year!«
Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis Dave ihr einen Heiratsantrag machte.
»You’re saying she can do 9 knots?«
Das sollte wohl eine Fangfrage sein. Natürlich war mit neun Knoten keine Regatta zu gewinnen. Jolas Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.
»You’ve got to be kidding! Bittmann says she’s done 17 or more, and she was recorded as exceeding 22 back in the 1920s.«
Um Dave war es geschehen. Ebenso großzügig wie resigniert nahm Theo den Arm von Jolas Schulter, um seine Freundin ein weiteres Mal zu verleihen.
»You know a thing or two about boats«, sagte Dave.
»My dad’s always been into sailing«, antwortete Jola, während sie ein paar Schritte zur Seite traten. »I was Co-Skipper by the time I was twelve. I knew exactly when to reef the sails or start the engine.«
Die Sehnsucht, die in Daves Haltung zum Ausdruck kam, war frappierend. Sein 1,90 m langer Körper stand leicht geknickt, um Jolas Gesicht möglichst nahe zu kommen. Während sie sprach, starrte er ihr auf den Mund. Theo folgte meinem Blick. Auf seinen Lippen lag das vertraute spöttische Lächeln.
»Wer eine solche Stute besitzen will, muss aushalten, dass andere Hengste an ihr schnuppern«, sagte er.
Erst glaubte ich, mich verhört zu haben, dann wusste ich nicht, was ich antworten sollte.
»Schau mich an.« Er breitete die Arme aus wie ein Mafia-Pate. »Ich dulde, dass du sie knallst. Dann wirst du es wohl dulden, dass der Engländer sie ein bisschen anglotzt.«
»Schotte«,
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