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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zeh
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Schwangere und Krebskranke vorbehalten war. Und wie geht’s dir? How are you? Weil ich nicht wusste, worauf er hinauswollte, schwieg ich. Antje sah mich aufmerksam an, während ein halbes Brötchen mit Honig vor ihrem Mund verharrte. Ich stand auf und ging hinaus auf die Terrasse.
    Jetzt mal im Ernst, hatte Bernie angefangen. Wie ich mir das vorstellen würde. Wie das weitergehen solle. Ob ich mir keine Sorgen um meinen Job mache. Ob ich kein Schamgefühl besitze. Was überhaupt Antje zu dem Ganzen sage.
    Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass er sich auf mich und Jola bezog. Eigentlich mochte ich Bernie. Er war ein Mensch, der auf etwas beruhte. Auf einer Übereinkunft mit sich selbst, die ihm verbot, grundlos freundlich zu sein. Das machte den Umgang mit ihm unkompliziert. Meiner Meinung nach entstanden die meisten Probleme nicht, weil die Leute jemandem schaden wollten, sondern weil sie nicht wussten, worüber sie reden sollten. Sie suchten nach einem Thema, und außer dem Wetter und übler Nachrede gab es nun einmal nichts, was ein Gespräch zwischen zwei Menschen in Gang halten konnte. Bernie war anders. Er war ruppig, wortkarg und deshalb unbestechlich.
    Aber an diesem Morgen redete er und wollte partout keine Ruhe geben. Er ging mir auf die Nerven. Er nannte mich prick und dumb-ass und kam mir mit der Do-it-right-Doktrin der Taucher. Das alles in hohem Tempo, obwohl er wusste, dass ich am Telefon nicht gut Englisch verstand.
    »Fuck off, Bernie«, sagte ich, bevor ich auflegte.
    Die Sache verfolgte mich. Ich wusste nicht, was Bernie von Dave oder sonstwem gehört hatte. Er hatte nicht besorgt, sondern wütend geklungen. Ich brauchte Bernie, Dave und die Aberdeen am Mittwoch. Die Planung für die Expedition lief seit Monaten, ich hatte eine Menge Geld in neue Ausrüstung investiert. Am liebsten hätte ich den nächstbesten Passanten am Kragen gepackt und ihm ins Gesicht gebrüllt, was ihm einfiele, die Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken. Dass er und seine Inselfreunde aufhören sollten, Lügen über mich zu verbreiten. So wurde Krieg gemacht – durch die Lust am Gerücht. Durch die Bereitschaft, immer das Schlechteste vom anderen zu denken. Ich war froh, als wir wieder in die Taucheranzüge stiegen. Das Neopren bildete ein dickes Fell, das mir die Welt vom Leib hielt. Ich freute mich darauf, meine Atemluft für eine weitere halbe Stunde nicht mit der Menschheit teilen zu müssen.
    Dass wir ein weiteres Mal vor Puerto del Carmen an der Playa Chica tauchten, war Ausdruck meiner Ratlosigkeit. Mittlerweile kannten Jola und Theo sämtliche Tauchplätze. Barrakudas, Zackenbarsche und Engelhaie stellten keine Sensation mehr dar. Es gehörte zu meinem persönlichen Ehrgeiz, die Kunden immer wieder zu überraschen. Aber die wenigsten blieben länger als zehn Tage, und kaum jemand unternahm mehr als zwei Tauchgänge pro Tag. Selbst der Atlantik verfügte nur über eine begrenzte Anzahl von Sehenswürdigkeiten. Langsam gingen mir die Ideen aus. Östlich der Playa Chica lag unterhalb der Riffkante eine Höhle, geräumig genug, um ungefährlich zu sein. Die wollte ich ihnen noch zeigen. Danach würden wir die verbleibenden Tage mit Bootstauchgängen bestreiten müssen.
    Dicht am Grund tauchend, drehte ich mich alle paar Sekunden nach den beiden um, achtete darauf, dass sie nicht an den Ankerketten hängen blieben oder sich in einer verloren gegangenen Angelschnur verfingen. Auch wenn ich mit Bernie von Zeit zu Zeit Aufräumaktionen startete, war die Playa Chica der schmutzigste Ort der Insel. Links von uns wühlte Laura mit einer Anfängergruppe den Schlamm auf. Über uns sprangen Kinder vom Kai, die Fersen voran, bereit, einem aufkommenden Taucher den Schädel einzutreten. Schnorcheltouristen zogen ihre Bäuche durchs Wasser und schauten auf uns herab, nicht ahnend, welche Sorte Sonnenbrand sie am Abend auf den Rücken haben würden. Unablässig hatten wir das Knattern der Motorboote im Ohr. Man konnte die Bucht gar nicht schnell genug hinter sich lassen, um ab der Riffkante in tiefere Sphären vorzustoßen.
    Wir kamen nicht so weit. Ich entdeckte seine Spur auf kaum zwölf Metern Tiefe. Er lag im Sand vergraben, über einen Meter lang, mit Sicherheit ein Männchen. Zitterrochen erinnerten mich immer an die Schneemänner, die meine Mutter zu Weihnachten aus Plätzchenteig buk. Zwei kreisrunde Scheiben, eine große und eine kleine, zu einem flachen Gebilde zusammengesetzt. Nur dass Zitterrochen

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