Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zeh
Vom Netzwerk:
dafür, dass du es ihr im Urlaub gründlich besorgst.«
    »Sie bezahlt mich fürs Tauchen.«
    »Okay.« Er verschränkte die Arme. »Lass uns die Sache mal grundsätzlich klären. Wir sind allein, keiner hört uns zu. Wir sprechen von Mann zu Mann. Einverstanden?«
    Ich nickte. Ich verspürte ein enormes Bedürfnis nach grundsätzlicher Klärung.
    »Ich habe dir erlaubt, ihr ein bisschen Freude zu bereiten«, sagte Theo. »Aber meine Beziehung zu Jola geht dich nichts an.«
    Das sah ich genauso. Ich entspannte mich ein wenig.
    »Zum letzten Mal meine Bitte: Hör auf, es abzustreiten. Das ist schlechter Stil.«
    »Aber ich habe«, fing ich an und verstummte wieder. Es lohnte die Mühe nicht. Er würde mir nicht glauben, ganz egal, was ich vorbrachte.
    »So ist’s brav. Einfach die Klappe halten.« Theo zündete sich eine Zigarette an. »Das Ganze mag dir skurril vorkommen. Glaub mir, toll finde ich das auch nicht. Aber Jola weigert sich abzureisen, und ich weigere mich, sie hier allein zu lassen. Also bleiben wir noch die restlichen sechs Tage, danach siehst du uns nie wieder. Vielleicht schreibt ihr euch noch ein paar E-Mails, aber das wird schnell einschlafen, und die Sache ist vergessen. Du lebst dein Leben weiter und ich das meine.«
    Mit einem Mal spürte ich Erleichterung. Auch wenn Theo von falschen Voraussetzungen ausging – er sprach mir aus der Seele. Fast war es, als würde ich mir selbst beim Denken zuhören. Vernünftig und klar. Frei von der anstrengenden und letztlich völlig überflüssigen Verwirrung der letzten Tage.
    »Während der verbleibenden Zeit können wir bestens miteinander auskommen«, fuhr er fort. »Vorausgesetzt, dass wir uns wie Erwachsene benehmen.«
    Er zog so tief und genussvoll an seiner Zigarette, dass ich plötzlich Lust bekam, ebenfalls zu rauchen. Anscheinend konnte er Gedanken lesen; jedenfalls hielt er mir sofort die Schachtel hin und gab mir Feuer. Ich inhalierte, hustete und genoss den leichten Schwindel.
    »Du hast doch auch keine Lust auf Spielchen, wie ich dich kenne.« Er streckte die Hand aus. »Fair play?«
    Meine Hand lag schon in seiner, während ich noch überlegte, was ich da versprach. Im Grunde ging es wohl nur darum, ihm gegenüber meine vermeintliche Affäre mit Jola nicht weiter zu bestreiten. Was nicht bedeutete, dass ich irgendetwas zugab. Im Rechtsverkehr gilt der Grundsatz, dass Schweigen keine Willenserklärung darstellt. Schweigen heißt weder ja noch nein. Es heißt gar nichts. Ein rechtliches Nullum. Wer schweigt, lügt nicht. Ich drückte seine Hand. Theo klopfte mir kräftig auf die Schulter.
    »Ich wusste es«, sagte er. »Du bist in Ordnung, Sven.«
    Der ganze Vorgang schien große Wichtigkeit für ihn zu besitzen. Wir warfen die Kippen weg.
    »Das Schöne ist, dass wir jetzt miteinander reden können.« Er sah wieder zu den Sternen hinauf. »Hast du auch manchmal den Eindruck, dass Jola nicht ganz richtig im Kopf ist?«
    Die Frage überrumpelte mich.
    »Ich weiß nicht«, stammelte ich. »Eigentlich nicht. Vielleicht kenne ich sie noch nicht lang genug.«
    Er lachte, als hätte ich einen Witz gemacht.
    Ich sagte: »Es gehört zu meinen Prinzipien, keine Urteile über andere zu fällen.«
    »Keine Urteile, was?« Theo nickte nachdenklich. »Netter Luxus, den du dir da leistest. Dann kannst du auch nicht sagen, ob du sie hübsch findest?«
    Darüber hätte ich nachdenken müssen. Ohne Zweifel war Jola schön. In ihrem Fall schien mir das kein Urteil, sondern eine Tatsache zu sein, die jeder normale Mensch bestätigt hätte. Natürlich ließ sich nicht ausschließen, dass auch die Feststellung einer Tatsache wertende Elemente enthielt. Aber ich hatte keine Lust, das zu erörtern. Noch weniger Lust verspürte ich, mit Theo über die Eigenschaften seiner Freundin zu fachsimpeln, als hätten wir gemeinsam eine Yacht gechartert.
    »Ich will rein, was essen«, sagte ich.
    »Schon gut«, sagte Theo. »Das ist neu für dich. Du bist das nicht gewöhnt. Im Grunde schätze ich deine Diskretion. Warte mal, ich habe noch etwas für dich.«
    Aus der rückwärtigen Tasche seiner Hose zog er ein paar Seiten Papier, mindestens viermal zu einem kleinen Paket gefaltet. Er musste es den ganzen Tag mit sich herumgetragen haben.
    »Du wolltest doch was von mir lesen. Viel Spaß damit.«
    Er drückte mir den Stapel in die Hand, der sich sofort auseinanderfaltete. Die Seiten waren mit der Schreibmaschine beschrieben. Ich presste sie wieder zusammen.
    »Grüß Antje.

Weitere Kostenlose Bücher