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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zeh
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von außen sehen, müsste ich kotzen. Vor lauter Ekel würde ich die Musik laut drehen, damit man meine Schreie nicht hört, und mich dafür bestrafen, dass ich nicht nur eine verdammte Hure, sondern auch eine verdammte Schleimerin bin.
    Die Wahrheit braucht nur wenige Worte: Ich bin am Ende. Mal einen schönen Urlaub zusammen machen, sich mal eben in Lotte verwandeln, mal das Glück mit einem anderen versuchen – alles Quatsch. Ich werde immer wieder zum alten Mann zurückkehren, so lange, bis er mich vernichtet hat. Ich brauche Hilfe. Sven muss sich entscheiden. Das ist kein Standardfall, in dem sich der Mann eine halbe Ewigkeit überlegen kann, welche Frau ihm lieber ist, und sich in der Zwischenzeit mit beiden amüsiert. Das hier ist die Ausnahme. Wenn Sven mich wirklich will, muss er etwas tun.

13
    W arte mal, Sven, ich muss dir was beichten«, sagte Theo.
    Er stand an der offenen Fahrertür, während ich hinter dem Steuer saß und gerade den Gang eingelegt hatte, um den Wagen aufs Grundstück zu fahren. Es war gegen halb acht Uhr abends und schon seit einer guten Stunde dunkel. Theo lehnte sich über mich und stellte den Motor aus.
    Am Morgen war Jola nicht zum Tauchen erschienen. Sie habe ihre Tage, hatte Theo erklärt. Nach dem zweiten Tauchgang hatte er mich zu einem dritten, schließlich noch zu einem vierten Trip überredet, so dringend, dass ich mich fragte, ob er vielleicht nicht nach Hause wollte. Es dämmerte bereits, als wir zum letzten Mal aus dem Wasser stiegen. Jetzt dachte ich vor allem ans Abendessen. Antje hatte angerufen, um mitzuteilen, dass sie Paella machte.
    »Es tut mir wirklich leid, eine dumme Sache, nicht dass du denkst, wir zerstören euch die ganze Bude. Ein echtes Missgeschick, vielleicht das gute Inselessen, keine Ahnung, wie das passieren konnte. Jedenfalls ist klar, dass ich dir den Schaden ersetze, ohne auf den Cent zu schauen.«
    »Was ist denn kaputt?«, fragte ich.
    »Ach, das habe ich noch gar nicht erwähnt?« Er lachte.
    Ich verzog keine Miene. Seit dem Morgen bemühte ich mich, über die Lage nachzudenken, und war keinen Schritt weitergekommen. Ich redete mir ein, nicht einmal zu wissen, ob es eine »Lage« gab. Die Frage, was vor sich ging, falls etwas vor sich ging, glitt mir immer wieder durch die Finger. Ich schämte mich und wollte gar nicht wissen, wofür. In gewisser Weise war ich sogar froh gewesen, dass Jola nicht zum Tauchen erschienen war. Mein Kopf fühlte sich an wie eine heiß gelaufene Maschine. Vielleicht war ich einfach nur übermüdet. Was ich brauchte, war ein ruhiges Abendessen mit Antje, am besten noch eine brennende Kerze und leise Musik. Ein Miniaturparadies.
    »Einfach gigantisch.« Theo hatte den Kopf in den Nacken gelegt. »So etwas gibt es in Deutschland gar nicht. Da ist die Milchstraße, direkt über uns. Euer Sternenhimmel ist ein Kunstwerk.«
    Bewundernd blickte er mich an, als stammte das Firmament aus meiner Produktion.
    »In Ordnung, Theo«, sagte ich. »Gute Nacht.«
    »Hoffentlich kein Erbstück«, sagte er. »Der Stuhl, meine ich.«
    Offensichtlich wollte Theo gefragt werden, was vorgefallen sei. Ich biss mir auf die Lippen. Dann stellte ich die Frage doch.
    »Was ist passiert?«
    »Keine Ahnung, Mann.« Wieder sah Theo nach oben. »Vielleicht habe ich mich zu heftig hineinfallen lassen. Bricht das Ding einfach zusammen. Irre, diese Menge von Sternen.«
    »Habt ihr – getanzt?«
    Theo holte seinen Blick aus dem Universum zurück. Eine Weile betrachtete er mich nachdenklich.
    »Sagen wir, der Abend ist ein bisschen wild geworden.«
    »Kann es sein, dass der Stuhl – durch die Luft geflogen ist?«
    »Ich hab ihn vor Wut durchs Zimmer geschleudert. Hat im ersten Moment ziemlich weh getan. Vielleicht ist dir der blaue Fleck an meinem Oberschenkel aufgefallen.«
    Mit ziemlicher Sicherheit konnte ich sagen, dass sich an Theos Oberschenkel kein blauer Fleck befand.
    »Aber keine Sorge, sonst ist nichts kaputtgegangen.« Theo lachte. »Wir haben dann den Hund bellen hören und die Musik ausgemacht. Hoffentlich haben wir euch nicht geweckt mit unserem Spektakel.«
    »Nein«, sagte ich.
    »Jetzt schau nicht so.«
    Theo stieß mich leicht gegen die Schulter. Sofort hob ich abwehrend die Hand, ich wollte nicht, dass er mich berührte.
    »Gönnst du mir keinen Spaß mehr mit ihr? Sie ist nicht dein Eigentum, klar?«
    »Sie ist meine Kundin, Theo. Sonst nichts.«
    »Das ist die richtige Einstellung.« Er nickte ernsthaft. »Sie bezahlt dich

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