Nullzeit
Ricardo-Theater ein paar Tage aufrechterhalten, um mich zu bestrafen. Eines Abends wäre sie dann plötzlich wieder da. Gleichzeitig sah ich mich morgens im Doppelbett erwachen und Jola betrachten, die neben mir lag und noch schlief. Ich sah Antje in der Badewanne liegen und Jola vor dem Spiegel stehen. Während Antje Frühstück machte, deckte Jola den Tisch. Ich sah Jola Rechnungen sortieren, während Antje Mails an Kunden schrieb. Vor den Fenstern fiel Schnee.
Kopfschüttelnd ging ich zurück ins Haus. Ich hatte mich noch nicht um den Gecko gekümmert. Ich nahm ein Stück Küchenpapier, fasste Emils kalten kleinen Körper, trug ihn ins Bad und warf ihn ins Klo. Beim Spülen wollte er nicht untergehen. Ich bedeckte ihn mit Papier, spülte, wartete, spülte wieder. Bis er endlich verschwunden war.
Sie standen beide vor dem Haus. Ich hatte nur mit einem von ihnen gerechnet. Wie jeden Morgen warteten sie an der Treppe zur Casa, während ich den Bus rückwärts auf den Sandplatz setzte. Jola trug ein rotes Kleid mit schwingendem Rock, das ich noch nicht kannte. Theo sah aus, als wäre er noch nicht ganz wach. Ich stieg aus, ging auf Jola zu, legte meine Hände um ihre Taille und küsste sie auf den Mund. Ich wusste nicht, warum ich das tat. Ich hatte es nicht geplant. Ich fühlte mich nicht einmal gut dabei.
»Hoppla«, sagte Jola.
Theo sah an uns vorbei, nickte leicht und lächelte.
Über Nacht musste irgendeine Sicherung durchgebrannt sein. Ich konnte einfach nicht aufhören. Im Auto sah ich Jola von der Seite an und streichelte mit dem Zeigefinger ihre Wange. Ich legte ihr eine Hand aufs Knie. Sie wirkte glücklich, aber auch ein bisschen durcheinander. Sie trug keinen BH unter dem Kleid. Als sie Theo und mir am Tauchplatz den Rücken zuwandte, um aus dem Kleid und in den Taucheranzug zu steigen, musste ich die Hände verschränken. Ich fühlte mich wie ein Junge, der sein neues Spielzeug nicht ausprobieren durfte, obwohl es daran noch so viele Funktionen zu entdecken gab. Theo hatte plötzlich eine Menge Fragen zum technischen Tauchen. Erst jetzt fiel es mir wieder ein: Morgen war der Tag, auf den ich seit Monaten wartete. Mein vierzigster Geburtstag in hundert Metern Tiefe. Das Wrack würde ich, ganz gleich, wie es ursprünglich geheißen hatte, nach mir benennen. Ein paar Vorbereitungen mussten noch getroffen werden. Flaschen befüllen, Ausrüstung checken, Tauchplanung ein letztes Mal durchrechnen. Die bevorstehende Expedition erschien mir weit weg wie etwas, das ich bereits erlebt und erledigt hatte. Das musste sich ändern. Ich brauchte meine volle Konzentration. Theos Fragen beantwortete ich, ohne mir selbst richtig zuzuhören. Während ich erklärte, dass Helium auch bei hohem Druck keine narkotisierende Wirkung entfalte, weshalb man in hundert Metern Tiefe Helium-Gemische atme, schaute ich Jola an, die etwas abseits stand und meinen Blick mit leicht schief gelegtem Kopf erwiderte. Sie betrachtete mich wie ein Möbelstück, von dem man noch nicht genau wusste, in welches Zimmer man es stellen wollte.
Ich dachte daran, dass ich dringend ein paar Entscheidungen treffen musste, und bekam sofort schlechte Laune. Dann dachte ich, dass man solche Entscheidungen am besten dem Schicksal überließ, und meine Laune besserte sich. Ich sagte, dass die thermodynamische Zustandsgleichung idealer Gase die Wechselwirkung zwischen den Gasatomen nicht berücksichtige, weshalb es sich beim Gebrauch von Helium empfehle, auf das Van-der-Waals-Modell zurückzugreifen. Ich dachte, dass ich wie jeder andere ein Recht darauf hätte, den Gesetzen der Logik zu folgen. Das bedeutete: Wenn Theo, Antje, Antjes Freundinnen, Bernie – wenn die ganze Insel fest davon ausging, dass ich eine Affäre mit Jola hatte, war es nur logisch, eine solche auch zu führen. Der Gedanke gefiel mir. Wer den Verstand nicht verlieren wollte, musste darauf achten, dass Idee und Wirklichkeit deckungsgleich blieben. Normalerweise passte man Ideen der Realität an. Manchmal war der umgekehrte Weg der einfachere. Eine Affäre mit Jola würde der Ungerechtigkeit von Antjes Vorwürfen den Stachel ziehen. Der Verurteilung nachträglich einen Grund liefern und mich zurück an den Verhandlungstisch holen. Schluss mit dem Gefühl, nichts erklären zu können, weil mir sowieso niemand glaubte. Im Kopf formulierte ich eine SMS an Antje: »Habe gerade mit Jola geschlafen, damit du mich nicht mehr für einen Lügner halten musst.« Darüber sollte sie dann erst
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