Nullzeit
ich feinste Schwingungen wahrnahm. Als Bittmann anfing, von »der Yvette« zu sprechen, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Oder besser, dass im nächsten Augenblick etwas nicht mehr stimmen würde.
Die Yvette sei schon eine liebe. Die kenne er, Bittmann, ja schon recht lang. Eine sagenhafte Schönheit. Und natürlich eine großartige Schauspielerin. Trotzdem immer ganz die alte geblieben. Das nette Mädchen von nebenan.
Vielleicht saß Jola neben mir plötzlich ein wenig zu aufrecht. Jedenfalls schien sich der Geräuschpegel rings um Bittmanns Stimme abzusenken, so dass ich ihn glasklar verstand. Die Musik verstummte, falls welche gespielt hatte. Alle hörten zu.
Die Yvette sei ja früher schon auf der Dorset mitgefahren und wäre auch diesmal gern mitgekommen. Erst recht, wo sie doch jetzt eine Meeresexpertin sei.
»Aber seekrank«, rief die Regisseurin.
»Aber seekrank«, bestätigte Bittmann.
»Könntet ihr aufhören, ständig das Wort ›seekrank‹ zu benutzen«, sagte Jankowski.
»Du wolltest doch meine Tabletten nicht«, rief der Fotograf.
»Ich bitte dich! Ingwer!«, rief Jankowski.
Gemeinsam lachten sie über etwas, das in den vergangenen Tagen an Bord passiert war. Es war Theo, der dafür sorgte, dass man zum Thema zurückkehrte.
Er fragte: »Warum konnte die Yvette denn dieses Mal nicht dabei sein?«
Es war klar, dass alle Gäste an Bord der Dorset die Antwort bereits kannten. Auch Theo sah aus, als wüsste er Bescheid. Vermutlich hatte Bittmann ihm schon erzählt, womit Yvette Stadler derzeit beschäftigt war. Theo wollte nur dafür sorgen, dass die Sache noch einmal öffentlich verhandelt wurde. Während er die Frage stellte, schaute er nicht Bittmann, sondern Jola an. Auf seinem Gesicht glänzte die Vorfreude. Er sah aus wie jemand, der sich mühsam das Lachen verkneifen musste. Ich spürte, wie sich Jola neben mir verspannte. Als erwartete ihr Körper einen lebensbedrohlichen Angriff.
»Die Yvette ist zur Stunde am Roten Meer«, sagte Bittmann. »Schöne Gegend. Da hatten wir vor ein paar Jahren diese legendäre Tour, wo wir in einen heftigen Sturm geraten sind. Alle nass bis auf die Haut, und wie wir dann endlich die neue Marina von Hurghada erreichen, springen Boris und Til nur in Unterhosen von Bord und …«
»Was macht denn die Yvette am Roten Meer?«, fragte Theo ungeduldig. Er grinste. Anscheinend hatte er keine Lust mehr, sich zu beherrschen. Ich hatte den Eindruck, dass Jola zu zittern begann.
»Sich auf ihre neue Rolle vorbereiten«, sagte Bittmann. Auch er schaute jetzt Jola an. »Du hast bestimmt längst davon gehört? Über deinen Vater?«
Jola reagierte nicht. Ihre Hand griff nach dem Weinglas, überlegte es sich auf halbem Weg anders und sank in den Schoß.
»Was für eine Rolle?«, fragte Theo.
»Die verfilmen doch das Leben dieser Taucherin.« Bittmann sprach weiter zu Jola. Er ging davon aus, dass sie sich als Kennerin der Branche für solche Neuigkeiten interessierte. »Ich komme gerade nicht auf den Namen.«
»Lotte Hass«, sagte Theo.
»Kann sein.«
Bittmann merkte noch immer nichts. Alle außer ihm und dem Afrikaner hatten ihre Löffel in die Terrine-Schüsseln sinken lassen und blickten Jola an, die leichenblass geworden war.
»Das muss aber unter uns bleiben bis zum offiziellen Pressetermin. Ich weiß es nur, weil die Yvette mir deswegen abgesagt hat. Sonst wäre sie in Casablanca an Bord gekommen.«
»Ist das nicht die Rolle, derentwegen wir hier sind, Liebes?«, fragte Theo, an Jola gewandt. Nie zuvor hatte ich jemanden das Wort »derentwegen« benutzen gehört. »Derentwegen du dieses Tauchtraining machst?«
»Aber das Casting …« Jola räusperte sich. »Das Casting ist doch erst übernächste Woche?«
Am Ende des Satzes kippte ihre Stimme ins Nichts. Ich bewunderte sie. Wie ein Stier in der Arena kämpfte sie um ihre Beherrschung. Theo setzte die nächste Lanze.
»Wolltest nicht du unbedingt das Mädchen auf dem Meeresgrund sein?«
»Das ist eine Insider-Information«, sagte Bittmann. »Sie haben intern entschieden, dass sie die Sache unbedingt mit der Yvette machen wollen.«
»Hast du nicht gesagt«, Theo fing wieder an zu lachen, »hast du nicht gesagt, das sei deine letzte Chance?«
»Jola …« Bittmann schaute betroffen. »Sag jetzt nicht, dass du vorhattest, dich um die Rolle zu bewerben.«
»Weil du sonst nie mehr rauskommst aus dieser Serienscheiße?« Theo schlug vor Vergnügen die flache Hand auf den Tisch. »Niemals eine ernst
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