Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zeh
Vom Netzwerk:
anerkannten. Eine Weile schauten wir schweigend aufs Meer. Dann begannen jene fünf Minuten, über die ich in den letzten Wochen wieder und wieder nachgedacht habe. Nie zuvor habe ich eine so kurze Zeitspanne so lange bereut. Jola fasste mich am Arm, blickte mir ins Gesicht und sagte: »Wir machen das morgen.«
    Ich begriff nicht gleich, was sie meinte, spürte nur die Wirkung ihres Lächelns. Mir fiel wieder ein, dass ich an Deck gekommen war, um sie zu trösten. Um mit ihr gemeinsam die Scherben ihres Lebens aufzusammeln und ein neues daraus zu bauen. Ich nahm sie in die Arme. Ab dieser Sekunde traf mein Körper die Entscheidungen selbst. Statt sie tröstend zu streicheln, presste ich sie an mich und küsste ihren Hals. Sie schob mich von sich, um mich weiter ansehen zu können.
    »Du tauchst zu deinem Wrack. Theo und ich steuern die Aberdeen .«
    Wieder fingen meine Arme sie ein. Mein Körper erhob jetzt Anspruch. Jolas Kleid ein gleitendes Nichts unter den Fingern. Ihr Geruch ein kreisender Strudel, der mich abwärts zog. Flüchtig fragte ich mich, ob ich ihr gegenüber jemals erwähnt hatte, dass Daves Kutter Aberdeen hieß.
    »Diese ganze Scheiße.« Jola wand sich, machte sich aber nicht los. »Mit dem alten Mann als Zeremonienmeister. Teufel.« Sie lachte gurrend. »Ein Teufel. Das ist er. Nicht mehr und nicht weniger.«
    Ich hatte den Faden verloren. Wusste nicht mehr, wovon sie sprach. Was mich nicht kümmerte. In diesen Sekunden gab es eine Menge Dinge, die mich nicht interessierten. Die für mich gar nicht mehr existierten. Die Nacht. Das Schiff. Der Wind. Vergangenheit und Zukunft. Wie ausgelöscht. Ich hatte Jolas Kleid bis zu den Hüften hochgeschoben und sie, halb drängelnd, halb tragend, aufs Vorderdeck manövriert. Dort standen zwei hölzerne Truhen.
    »Um wie viel Uhr geht’s los?«
    Ich hielt inne. Sie hatte den Rücken gestrafft. Offensichtlich erwartete sie eine Antwort von mir.
    »Was?«
    »Die Expedition.«
    »Scheiß auf die Expedition«, sagte ich.
    »Nein!« Jola schüttelte so heftig den Kopf, dass sich eine Strähne aus dem kunstvoll geflochtenen Haarkranz löste. »Da scheißen wir nicht drauf! Lotte Hass ist für mich gestorben, da kann man nichts machen. Aber deine Tauchexpedition, die wird stattfinden. Jetzt erst recht. Verstehst du?« Sie wurde lauter. »Ich … wir lassen uns nicht fertigmachen!«
    Ganz langsam wurde mir klar, dass sie es ernst meinte.
    »Ich habe für morgen keine Mannschaft«, sagte ich.
    »Theo und ich sind deine Mannschaft.«
    Ich ließ die Hände sinken.
    »Das geht nicht, Jola. Für so etwas braucht man Erfahrung.«
    »Ich hab schon Schiffe manövriert, bevor ich laufen konnte. Glaubst du wirklich, so eine Nussschale stellt ein Problem für mich dar?«
    »Das Wrack befindet sich einige Kilometer weit draußen. Bei einer solchen Expedition liegt mein Leben in den Händen der Bootsbesatzung.«
    »Und da vertraust du lieber dem Arschloch, das dich gerade im Stich gelassen hat? Lieber als mir?«
    Jolas Finger gruben sich in mein Haar. Dem Wind zum Trotz hatte sie erstaunlich warme Hände. Ihr Gesicht kam näher. Augen, Nase, Lippen, alles in Großaufnahme. Wie ein Blitz durchfuhr mich das Gefühl, diese Szene schon einmal erlebt zu haben.
    »Die Mannschaft muss ununterbrochen die Wasseroberfläche im Auge behalten«, sagte ich. »Den Wind lesen. Die Strömung deuten.«
    Jola saß jetzt, das Kleid noch immer um die Hüften, auf dem Deckel einer Truhe. Sie lehnte sich leicht zurück; ihre Knie schlossen sich links und rechts um meine Hüften. Ihr Slip glänzte silbrig. Ich schob zwei Finger unter den Rand und sah mir selbst dabei zu, wie ich den Stoff anhob.
    »Meine leichteste Übung«, sagte Jola.
    Sie war trocken. Ich dachte mir nichts dabei. Ich zog den Silberstoff vollständig zur Seite, ging in die Knie und teilte die Hautfalten mit der Zunge. Ihre Hände legten sich auf meine Ohren. Jetzt würde es passieren. Es musste passieren. Antje hatte mich deshalb verlassen. Die ganze Insel sah mich deshalb schief an. Es galt, dem Schicksal nachträglich unterzuschieben, was es längst zur Voraussetzung gemacht hatte. Jeder Mensch hat ein Recht auf Logik. Jolas Hände pressten meinen Kopf, als wollte sie mir den Schädel zerdrücken.
    »Nimmst du uns mit, Sven?«
    Ich kam auf die Beine und küsste sie. Ich wollte, dass sie sich selbst schmeckte.
    »Die Expedition, Sven!«
    Sie trug keinen BH unter dem Kleid. Mühelos fanden meine Lippen ihre Brustwarzen durch den

Weitere Kostenlose Bücher