Nullzeit
Gerüchte über einen bevorstehenden Staatsstreich kommen aus den Vororten des ›Roten Gürtels‹ - vor allem aus Billancourt. Dort sind bestimmte Agitatoren heute sehr beschäftigt gewesen. Sie sagen, bald könne das Volk gezwungen sein, die Republik zu verteidigen. Wenn diese Typen so etwas behaupten, ist das natürlich ein großer Witz, aber ich kann nicht darüber lachen - ich mache mir größte Sorgen. Vor einer Stunde haben einige meiner Leute bei Renault ein Waffenlager entdeckt. Ich dachte, Sie sollten das wissen. Irgend jemand muß jetzt handeln …«
Grelle handelte sofort. Zuerst rief er Roger Danchin an, um dessen Zustimmung einzuholen, dann erließ er eine Flut von Anweisungen. Vor allen öffentlichen Gebäuden wurden die Wachen verdreifacht. Zu besonders wichtigen Punkten wie etwa den Fernmeldezentralen und den Fernsehsendern wurden Spezialeinheiten entstandt. Die Eliteeinheiten der CRS wurden aus den vor Paris liegenden Kasernen in die Stadt beordert, um die Seine-Brücken zu bewachen. Fast lautlos wurde Paris in den Ausnahmezustand versetzt. Dann, um 19.30 Uhr, ging Grelle zu einem, wie es schien, Routinebesuch in den ElyséePalast, um die Sicherheitsvorkehrungen für die für den folgenden Tag angesetzte Fahrt zum Flughafen nochmals zu prüfen.
Bei der Ankunft im Palast überraschte es Grelle nicht, daß der sowjetische Botschafter nicht nur nicht anwesend war, sondern daß er sich den ganzen Tag nicht in der Nähe des Palasts hatte blicken lassen. Irgend jemand war angewiesen worden, den Verteidigungsminister und ehemaligen Fallschirmspringer Blanc auf keinen Fall vor dem Abflug des Präsidenten am folgenden Tag vorzulassen. Ein uniformierter Palastdiener öffnete Grelle die hohe Glastür und ließ ihn ein. Grelle ging zur Rückseite des Gebäudes und öffnete und schloß Türen, als suchte er etwas. Er hielt nach Kassim Ausschau, Florians Hund.
Er fand ihn draußen in dem ummauerten Garten, in dem das Tier soviel Zeit zubrachte - und in dem der Präsident mit Leonid Vorin spazierenging, wenn der Sowjetrusse den ElyséePalast besuchte. Als Grelle auftauchte, bellte der Schäferhund und stellte sich auf die Hinterbeine. Er legte die Vorderpfoten auf die Schultern des Präfekten und hechelte ihn freudig an. Grelle langte nach oben und kraulte das Tier eine Weile neben dem Würgehalsband, das den mächtigen Hals des Tiers umgab. Dann versetzte Grelle dem Hund einen kräftigen Klaps, um ihn loszuwerden, und ging wieder in den Palast.
Von dort ging er rasch zu der nahegelegenen Rue des Saussaies hinüber und in den vierten Stock des SûretéHauptquartiers hinauf. Der Elektronik-Experte, den er vorhin von der Präfektur hinübergeschickt hatte, wartete bereits auf ihn. Grelle gab ihm bestimmte Anweisungen, bevor er zum Elysée-Palast zurückkehrte, seinen Wagen abholte und zu seinem Büro zurückfuhr. Es war leichter gegangen, als er erwartet hatte. Dies war eine Entscheidung, über die er Boisseau nicht informiert hatte. Eine aufs Spiel gesetzte Karriere reichte vollauf.
Der Präfekt hatte auf der Innenseite von Kassims Würgehalsband soeben einen Minisender angebracht. Jedes Wort, das in der Nähe des Hundes gesprochen werden würde, würde von einem Empfänger in dem verschlossenen Raum in der Rue des Saussaies aufgenommen und auf Band aufgezeichnet werden. Der Abhörraum war nur wenige Dutzend Meter vom ElyséePalast entfernt.
19
Bislang hatte Vanek es vermieden, zu fliegen. Auf Flughäfen ist es leicht, Einzelreisende unter die Lupe zu nehmen, sie zu durchsuchen, aber da er Paris unbedingt vor Annette Devaud erreichen mußte, blieb ihm keine Wahl. Als er sich bei der Air Inter sein Ticket kaufte und anschließend zur Abflughalle ging, hatte der Tscheche nichts bei sich, was Verdacht hätte erregen können. Die Luger hatte er auf der Fahrt zum Flughafen in einen Kanal geworfen. Der BMW stand auf dem Flughafenparkplatz. Die Schirmmütze des Binnenschiffers hatte er ebenso in den Kanal geworfen wie die Luger.
Am Schalter hatte er gleich ein Rückflugticket gekauft: Er hatte nicht die Absicht, nach Straßburg zurückzufliegen, aber für das Flughafenpersonal hat ein Rückflugticket etwas Normales und Beruhigendes. Die Sicherheitskontrollen passierte Vanek ohne Zwischenfall, was zum Teil darauf zurückzuführen war, daß er jetzt nicht mehr allein war. In der Flughafenhalle, während er auf das Aufrufen des Air-InterFlugs wartete, hatte er ein attraktives Mädchen von etwa zweiundzwanzig
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