Nullzeit
war fast zehn; Zeit für den nächsten Anruf. Er betrat eine der Telefonzellen im Bahnhof und wählte die Nummer. Er hatte kaum seinen Namen, Salicetti, genannt, als die Stimme am anderen Ende der Leitung so abrupt wie immer einfiel.
»Rue des Saussaies. Jetzt! Sie wissen, welche Adresse ich meine?«
»Ja …«
Diesmal unterbrach Vanek als erster die Verbindung. Sie hatten Madame Devaud also ins Hauptquartier der Sûreté Nationale gebracht, in die schwerbewachte Hochburg der kapitalistischen Polizeiorganisation. Vanek holte die Reisetasche mit dem Schottenmuster aus dem Schließfach und betrat die Straße hinter dem Gare du Nord. Den Taxenstand beachtete er nicht. Er wollte sich seinen nächsten Fahrer genau aussuchen. Er suchte einen bestimmten Typus. Das war für den nächsten Schritt seines Unternehmens unerläßlich.
Der Polizeipräfekt von Straßburg, der - anders als der Präfekt von Lyon - Marc Grelle nicht sonderlich zugetan war, machte sich Sorgen wegen der ausgeklügelten Vorsichtsmaßnahmen beim Transport von Madame Devaud nach Paris. Beim Versuch, Grelle am Telefon einige tiefergehende Details zu entlocken, hatte der Pariser Polizeipräfekt ihn brüsk abfahren lassen.
»Dieses Unternehmen betrifft die Sicherheit des Staatspräsidenten, und ich sehe mich nicht in der Lage, nähere Einzelheiten mitzuteilen …«
Der Polizeipräfekt von Straßburg - aufgebracht, aber auch darauf bedacht, sich abzusichern - hatte daraufhin im Innenministerium in Paris angerufen, wo er den Referenten des Ministers, François Merlin, an den Apparat bekam.
»Grelle hat am Telefon ziemlich gemauert«, beklagte sich der Straßburger Präfekt.
»Ich hatte den Eindruck, daß diese Madame Devaud eine wichtige Zeugin in irgendeinem Fall ist, an dem er gerade arbeitet …« Als er weitersprach, überschritt er seine Kompetenzen.
»Ich bestehe darauf, daß der Herr Innenminister von dieser Sache in Kenntnis gesetzt wird.«
Der stets tüchtige Merlin diktierte daraufhin sofort eine Aktennotiz, die dem Minister anschließend auf den Schreibtisch gelegt wurde. Dort blieb sie unberührt - und ungelesen - mehr als eine Stunde liegen. Roger Danchin, der soeben eine lange Sitzung hinter sich gebracht hatte, in der die Sicherheitsvorkehrungen für die morgige Fahrt des Präsidenten zum Flughafen erörtert worden waren, kehrte erst um 20.45 Uhr in sein Büro zurück.
»Ein wichtiger Fall, an dem Grelle gerade arbeitet?« wollte er von Merlin wissen, nachdem er die Aktennotiz gelesen hatte.
»Devaud ist zwar ein ziemlich gewöhnlicher Familienname, aber es könnte doch sein, daß diese Geschichte etwas mit dem versuchten Attentat zu tun hat. Ich muß dem Präsidenten die Sache vorlegen …«
Danchin griff zum Telefon, das ihn direkt mit dem Elysée verband.
Um 21.15 Uhr fuhr Botschafter Vorin, der durch einen dringenden Anruf gebeten worden war, vor dem Elysée vor. Seine Ankunft wurde von dem diensttuenden Beamten der Präsidentenwache getreulich in der Besucherliste notiert. Florian hatte schon seinen Mantel angezogen, und gewohnheitsgemäß führte er den sowjetischen Botschafter in den von hohen Mauern umgebenen Garten, in dem sie ungestört sprechen konnten. Der Schäferhund Kassim, der sich wie sein Herrchen auf ein bißchen frische Luft freute, begleitete die beiden Männer und schnupperte in einem Gebüsch herum, während sie sich leise unterhielten. Dieser Besuch Vorins geriet sehr kurz. Er dauerte nur wenige Minuten. Anschließend ließ er sich mit hoher Geschwindigkeit in die sowjetische Botschaft in der Rue de Grenelle zurückfahren.
Die Kommunikation zwischen Botschafter Vorin und Karel Vanek war so sorgfältig arrangiert worden, daß eine Verbindung zwischen diesen beiden Männern sich niemals nachweisen lassen würde. Nach der Ankunft in der Botschaft rief Vorin sofort den stellvertretenden Botschafter zu sich und trug ihm auf, unverzüglich eine Nachricht weiterzugeben. Der Stellvertreter, der unter normalen Umständen vom nächstliegenden Metro-Bahnhof aus angerufen hätte, ging jetzt sofort in sein Büro zurück, schloß die Tür hinter sich ab und wählte eine Nummer auf dem linken Seine-Ufer in der Nähe des Musée de Cluny.
»Die Urkunden über das Devaudsche Vermögen befinden sich in der Rue des Saussaies. Haben Sie verstanden?«
Der Mann am anderen Ende der Leitung hatte nur Zeit, die Frage zu bejahen, als die Verbindung schon unterbrochen wurde.
Die Wohnung in der Nähe
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