Nullzeit
sogar zurück zu ihrem Haus auf dem Holzfällerhof. Vanek bog in eine Seitenstraße ein, wendete den Wagen, um jederzeit losfahren zu können, und steckte eine Münze in die Parkuhr. Dann betrat er eine nahegelegene Bar, von der aus er die Polizeistation im Auge behalten konnte.
Die Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz von Annette Devauds Leben wurden von Boisseau organisiert, der von der Polizeistation aus die notwendigen Telefonate führte. Er wußte die volle Autorität von Marc Grelle hinter sich - »Hier geht es um die Sicherheit des Präsidenten der Französischen Republik« - und erließ eine Flut präziser Anweisungen. Bevor der Trans-EuropExpress Stanislas um 17.14 Uhr den Bahnhof von Straßburg verließ, wurde ein Sonderwagen direkt an die Lok gekoppelt. An die Fenster wurden Schilder geklebt, die darauf hinwiesen, daß sämtliche Abteile in diesem Waggon reserviert seien. Eine Minute vor Abfahrt des Zuges wurde der Bahnsteig abgeriegelt und Gendarmen, die sich bis dahin in der Gepäckaufbewahrung verborgen gehalten hatten, bestiegen den ›reservierten‹ Waggon mit automatischen Waffen.
Der Expreß befand sich noch fünf Minuten von Saverne entfernt - einem Bahnhof, den der Zug normalerweise mit hoher Geschwindigkeit passierte -, als die Gendarmen den Waggon verließen und sich auf den gesamten Zug verteilten. Sie schlossen sämtliche Fenstervorhänge.
»Eine Sicherheitsmaßnahme«, sagte der verantwortliche Inspektor zu einem Fahrgast im Speisewagen, der die Stirn gehabt hatte zu fragen, was dieser Unfug bedeuten solle.
»Wir haben einen Hinweis erhalten, daß Terroristen einen Anschlag planen …«
Der TEE Stanislas bremste ab, als er sich dem Bahnhof von Saverne näherte, der zuvor von starken Polizeieinheiten, die man aus Straßburg herbeigerufen hatte, abgeriegelt worden war. Als der Expreß einlief, herrschte eine unheimliche Atmosphäre im Bahnhof. Um jeden abzuschrecken, der versuchen sollte, die elektrisch betätigten Vorhänge zu öffnen, hatte man auf dem Bahnhof starke Scheinwerfer auf Elektrokarren installiert, die den gesamten Zug in gleißendes Licht tauchten, als dieser am Bahnsteig hielt. Jeder, der hinaussehen wollte, würde geblendet werden. Im Warteraum saß Boisseau mit Annette Devaud an einem Tisch. Sie hatte sich in ihren altmodischen Pelzmantel gehüllt. Trotz all der Aufregung um ihre Person blieb sie ruhig und beherrscht.
»Stimmt es, daß ich einen ganzen Waggon für mich allein bekomme?« fragte sie. Boisseau versicherte ihr, dies sei der Fall. Er bat sie, eine dunkle Brille aufzusetzen - teils zur Tarnung, teils zum Schutz vor dem grellen Lichtschein. Dann geleitete er sie persönlich auf den Bahnsteig und brachte sie zu ihrem Waggon. Als sie den schmalen Gang zu ihrem Abteil entlangging, rollte der Zug wieder an.
Ganz in der Nähe des Bahnhofs - außer Sichtweite der Beamten, die vor ihren geparkten Streifenwagen patrouillierten - stand ein BMW, dessen Fahrer Ärger mit dem Motor zu haben schien. Der Mann hatte die Motorhaube geöffnet und prüfte die elektrischen Leitungen. Der Expreß hatte sich gerade in Bewegung gesetzt, als der Mann den Fehler gefunden zu haben schien. Er schloß die Motorhaube und setzte sich ans Steuer. Er fuhr sofort los, und nachdem er Saverne hinter sich gelassen hatte, lenkte er den Wagen mit hoher Geschwindigkeit durch die Dunkelheit. Sein Ziel war der Straßburger Flughafen, von dem aus die Fluggesellschaft Air Inter mehrmals täglich Paris anfliegt.
18
In Paris glaubte Marc Grelle herausgefunden zu haben, wie die Liste mit Lasalles drei Zeugen nach Moskau gelangt war. Im Verlauf der jüngsten Ereignisse, als immer mehr Informationen einliefen, daß ein sowjetisches Killerkommando gerade die Leute beseitigte, deren Namen auf Lasalles Liste gestanden hatten, wurde dem Präfekten klar, daß dies kein Zufall sein konnte. In Paris hatte außer ihm noch jemand die Liste gesehen und dann veranlaßt, daß sie nach Moskau übermittelt wurde. Danach war das sowjetische Kommando in den Westen geschickt worden. Grelle begann mit seinen diskreten Nachforschungen im Innenministerium; er verfolgte den Weg, den seine Notiz mit der beigefügten Liste zurückgelegt hatte. Am Dienstagmorgen, dem 14. Dezember, hatte Grelle die Notiz Roger Danchin durch Boten zustellen lassen. François Merlin, der Referent des Ministers, zeigte sich hilfsbereit. Er mochte den Präfekten. »Wir haben lange nichts mehr von Hugon gehört, unserem Mann bei Oberst
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