Nullzeit
Problem lag: Drei Jahre nach der Gründung seines eigenen Unternehmens hatte er wieder einmal das Gefühl, das erreicht zu haben, was er sich vorgenommen hatte. Also verlor er allmählich das Interesse. »Ich langweile mich zu Tode«, sagte er sich beim Scotch. »Ich brauche irgend was Neues …«
Er hob sein Glas in Richtung Telefon.
»Los, klingeln«, befahl er, »her mit einem Anruf von sehr weit weg …«
Er hatte seinen Whisky ausgetrunken und holte gerade das Steak aus dem Kühlschrank, als das Telefon klingelte. In dem Wissen, daß da jemand falsch verbunden war, nahm er den Hörer ab. Die Telefonistin der Auslandsvermittlungsstelle hatte eine verführerische Stimme.
»Mr. Alan Lennox?« fragte sie. »Anruf für Sie aus Übersee. Voranmeldung für Sie persönlich. Aus Washington …«
Zwei Männer standen in dem von Mauern umgebenen Pariser Garten und unterhielten sich. Zum Schutz gegen den naßkalten Dezemberwind hatten sie die Mantelkragen hochgeschlagen. Einer der Männer war schlank und hochgewachsen, der andere kurz und gedrungen gebaut. Die Sprache, in der sie sich unterhielten, war Französisch.
Der hochgewachsene und schlanke Leopard schüttelte zweifelnd den Kopf, als sein Begleiter mit Nachdruck das gleiche Argument vorbrachte.
»Wir halten es für unerläßlich, Oberst Lasalle zu liquidieren. Wir haben Leute, die es wie einen Unfall aussehen lassen können, Leute, die in diesem Augenblick auf das Startzeichen warten …«
»Es könnte ein Fehler sein …«
»Es könnte ein Fehler sein, nichts zu tun, untätig zu bleiben. Diese Leute, die sich der Sache widmen würden, sind kompetent, das versichere ich Ihnen …«
Sie fuhren fort, das Problem zu erörtern, während die Dunkelheit hereinbrach und jenseits der Mauern der Pariser Verkehr der Rush-hour einen Höhepunkt erreichte. Keine zwanzig Meter von dem Platz entfernt, an dem die beiden Männer standen, ging das normale großstädtische Leben der Hauptstadt weiter. Einige Menschen machten sogar Weihnachtseinkäufe.
3
Karel Vanek fuhr den Citroën DS 21 mit hoher Geschwindigkeit auf die massige Gestalt zu, die mitten auf der Betonfahrbahn stand. Das Licht war schlecht; es war spät am Nachmittag des 11. Dezember kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Durch die Windschutzscheibe sah Vanek die Gestalt schnell näher kommen; als der Wagen bei neunzig Stundenkilometern mit ihr zusammenprallte, verschwamm sie und wurde durch die Wucht des Aufpralls in die Luft geschleudert. Als Vanek weiterfuhr und der Wagen die Gestalt überrollte, bebte der ganze Wagen. Wenige Meter danach hielt der Wagen mit kreischenden Reifen an. Vanek blickte über die Schulter, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr dann mit großer Geschwindigkeit rückwärts.
Der Körper lag in der Dämmerung noch auf der Fahrbahn, ein unförmiger Klumpen, auf den Vanek immer schneller zufuhr. Vanek fühlte sich nie wohler als hinter dem Lenkrad eines Wagens; er empfand sich als Erweiterung des Fahrzeugs, hatte das Gefühl, daß der Schalthebel ein zusätzlicher Arm sei, die Bremse ein dritter Fuß. Es war aufregend. Er jagte im Rückwärtsgang weiter. Er hatte perfekt gezielt. Zum zweitenmal spürte er das Schwanken und Beben, als die Räder des Citroën über den auf der Straße liegenden Klumpen hinwegrollten. Dann fuhr Vanek weiter, setzte in einer scharfen Kurve zurück, bremste, fuhr wieder vorwärts, riß das Lenkrad herum, bis er mit hoher Geschwindigkeit in der Gegenrichtung davonfuhr.
»Fünfunddreißig Sekunden«, sagte der stille Mann auf dem Rücksitz, nachdem er auf die Stoppuhr gedrückt hatte.
Vanek trat mit einem Ruck auf die Bremse, der den Mitfahrer auf dem Beifahrersitz beinahe durch die Windschutzscheibe geschleudert hätte. Vanek lachte, als Walther Brunner fluchte.
»Müssen Sie das wirklich so dramatisch machen?« wollte Brunner wissen, als er sich in seinen Sitz zurückfallen ließ.
»Reaktion - Reaktion …« Vanek schnipste mit den Fingern. »Nur darum geht’s bei dieser Sache. An dem Tag, an dem wir Lasalle besuchen, werde ich vielleicht gerade das tun müssen - man muß vorbereitet sein…«
Sie stiegen aus dem Wagen und gingen zu Fuß auf der verlassenen Rennstrecke zurück, die vor den Toren der tschechischen Stadt Tâbor liegt, sechzig Kilometer südlich von Prag. Michail Borisov, der Russe, der dieses Trainingszentrum leitete, war in der Dämmerung und bei der Entfernung nur als massiger Schatten zu erkennen. Er beugte
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