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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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sich über die auf der Straße liegende Gestalt, eine Gestalt mit Gliedern, Rumpf und Kopf aus Sackleinen und Stroh. Eine starke Feder hatte das Phantom aufrecht gehalten, bis Vanek es überfahren hatte. 
    »Gut so?« fragte Vanek, als er Borisov erreicht hatte. »Keine Verzögerung bei der zweiten Anfahrt - ich habe sofort den Rückwärtsgang eingelegt und bin sofort über ihn weggefahren…«
    Borisov, ein dicker Mann, der sich zum Schutz gegen die durchdringende Kälte in einen Pelzmantel gehüllt hatte und einen Hut trug - der Prager Rundfunk hatte Schneefall vorhergesagt -, betrachtete den Tschechen mit saurer Miene. Vanek war zu selbstsicher, zu arrogant, als daß er ihn je würde leiden können, und ärgerlich war, daß Vanek recht hatte: Es war eine perfekte Fahrt gewesen. Der verdammte Tscheche übte alles, was er tat, bis zur Perfektion. 
    »Wir laufen ins Trainingszentrum zurück«, sagte Borisov abrupt. »Ich werde jemanden herschicken, um den Wagen zu holen …« Borisov hatte Französisch gesprochen; seit Beginn ihres Übungsprogramms hatten sie sich ausschließlich in dieser Sprache unterhalten.
    Sie rannten durch die kühle Dämmerung, die jetzt schon fast Dunkelheit geworden war, über die Fahrbahn zurück. Vanek hielt sich mit voller Absicht einige Schritte vor den anderen drei Männern, um zu demonstrieren, daß er topfit war. Als sie eine unter einem Tannendickicht versteckte Betonhütte betraten, schlug ihnen die Wärme eines bullernden Ofens entgegen. Borisov, der älteste der Männer, der die Hütte als letzter betrat, knallte die Tür zu, um die Wärme drinnen zu halten. Sie zogen die Mäntel aus, zündeten sich Zigaretten an - Gauloises - und ließen sich auf Stühle fallen, die um einen Tisch standen. Eine Karte von Frankreich und Deutschland in großem Maßstab bedeckte eine Wand; an einer anderen hing ein Stadtplan von Paris. Verschiedene Reiseführer, darunter Kursbücher, der Michelin und der Guide Bleu, lagen auf einem Regal aus Holz. Am meisten sprang ein großes Foto von Oberst René Lasalle ins Auge.
    »Das genügt für heute«, verkündete Borisov, als er sich aus einer Flasche französischen Cognac eingoß. »Sie machen sich«, fügte er widerwillig hinzu.
     Mit einer für ihn typischen, prahlerischen Geste hob Vanek sein Glas in Richtung auf das Foto an der Wand. »Auf unsere Begegnung, mein lieber Oberst …«
     Karel Vanek war einunddreißig Jahre alt, ein hochgewachsener, hagerer Mann mit einem knochigen Gesicht, sehr dunklem Haar und einem gepflegten dunklen Schnurrbart. Er war ein geborener Athlet, und seine flinken dunklen Augen starrten den Russen frech an, als dieser ihn musterte. Vanek wußte, daß er seinen Job beherrschte, daß der Russe ihn nicht mochte, aber seine Fähigkeiten auch anerkannte, was alles nur noch besser machte; die richtige Methode, Borisov auf Abstand zu halten, bestand darin, das Training noch mehr zu forcieren, als der Russe es wünschte. »Wir werden die Nachtübung wiederholen«, sagte Vanek plötzlich. »Einen Mann im Dunkeln zu überfahren, ist noch schwieriger.«
    Die Russen haben ein Wort für die Tschechen, das soviel bedeutet wie ›die cleveren Leute, die ein bißchen zu schlau sind …‹ Dieser Begriff faßte sehr gut zusammen, was der russische Schulungsleiter über seinen Schützling dachte. Andererseits, überlegte Borisov, war Vanek genau der richtige Mann, dieses sowjetische Kommando zu führen; er besaß sämtliche Qualifikationen. Fünf Jahre zuvor war Vanek der Geheimdienstabteilung bei der Pariser tschechischen Botschaft in der Avenue Charles Floquet in der Nähe des Eiffelturms zugeteilt worden. Wie so viele Tschechen war Vanek sehr sprachbegabt, er beherrschte Französisch, Deutsch und Englisch. Und wenn dieses Dreier-Team das Signal zur Abfahrt in den Westen erhalten würde, würden die Männer als Franzosen reisen, Französisch sprechen und mit französischen Papieren ausgestattet sein.
    Daneben verfügte Vanek noch über andere brauchbare Fähigkeiten - außer denen des perfekt gedrillten Mörders, die er sich in dem Trainingszentrum angeeignet hatte. Er war ein gutaussehender Mann, der kühn und selbstbewußt auftrat. Das machte den Tschechen für Frauen attraktiv, was sich gelegentlich als sehr brauchbar erwies. Und schließlich, dachte Borisov, während er seine Gauloise rauchte, war Vanek von einer Gefühlskälte, die es ihm ermöglichte, einen Mann kaltblütig zu töten und danach ruhig zu schlafen. Das hatte sich

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