Nullzeit
gern. »Wenn man an Ort und Stelle ist, sucht man sich den geeignetsten aus …« Sein Lieblingsgetränk war Bier, und anders als Vanek hielt er Frauen für eine gefährliche Ablenkung. Sein auffallendstes Merkmal waren seine großen Hände, ›Würgerhände‹, wie Vanek sie grob nannte. Diese Kennzeichnung war nicht ganz ungerechtfertigt; wenn Oberst Lasalle im Bad würde sterben müssen, würde Brunner das erledigen.
Dies war der Schwerpunkt der Ausbildung an der verlassenen Rennstrecke außerhalb der mittelalterlichen Stadt Tâbor; hier vervollkommneten die drei Tschechen des Kommandos ihre Fähigkeit, ›Unfalltod‹ zu arrangieren. Das Überfahren eines Menschen mit dem Wagen war Borisovs bevorzugte Methode. Die in einem separaten Bau untergebrachte Forschungsabteilung, die eng mit dem Kommando zusammenarbeitete, hatte die Statistiken untersucht: In Westeuropa war der Tod durch Verkehrsunfall die häufigste ›unnatürliche‹ Todesursache. An zweiter Stelle standen tödliche Unfälle im Haushalt. Daher Brunners besonderes Interesse für Ertrinken im Bad, das in einem dritten Bau an lebenden ›Modellen‹ geübt worden war. Es ist eine im Westen weithin unbekannte Tatsache, daß kein Mordkommando das von den Sowjets kontrollierte Territorium ohne ausdrückliche Billigung durch drei Mitglieder des Politbüros in Moskau verläßt. Diese drei Männer entscheiden allein. Selbst 1956 - als das Kommissariat für Staatssicherheit auf dem Gipfel seiner Macht stand - mußte das nach Westberlin entsandte Kommando, das Dr. Linske entführen (oder notfalls töten) sollte, von drei Politbüromitgliedern genehmigt werden (eines davon war Molotov).
Der Grund für diese Politik ist einleuchtend. Wenn die Aktionen irgendeines Kommandos bekannt werden, wird das internationale Ansehen der Sowjetunion befleckt - denn im Westen weiß die Öffentlichkeit, daß in der Sowjetunion nichts gegen den Willen der Regierung geschieht. Das Politbüro ist sich dieser Tatsache bewußt, so daß ein Mordkommando nur dann auf die Reise geschickt wird, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, ein Problem zu lösen. Vaneks Kommando war vom Generalsekretär der KPdSU sowie zwei weiteren Mitgliedern des Politbüros gebilligt worden; jetzt wartete es nur noch auf grünes Licht. Die Männer würden mit französischen Papieren reisen, die in der Bundesrepublik jeder Prüfung standhalten konnten. Brunner hatte gerade seine Inspektion der Ausweise und Pässe beendet, als Borisov mit der Nachricht die Hütte betrat. »Die Hinrichtung Lasalles ist verschoben worden …« »Verdammt!« Brunner war wütend. »Und das, wo wir gerade in bester Form sind …«
»Haben Sie Geduld, Sie hitziger Tscheche«, sagte Borisov. »Sie müssen jederzeit auf ein neues Signal gefaßt sein. Es kann sein, daß Sie jeden Augenblick losfahren müssen.«
5
Am Montagmorgen, dem 13. Dezember, an dem Marc Grelle das Fernschreiben aus Guyana mit Informationen über Gaston Martin erhielt, flog Alan Lennox nach Brüssel. Die Maschine der Sabena mit der Flugnummer 602 landete um 10.30 Uhr in der belgischen Hauptstadt. Von Heathrow aus hatte Lennox seine Assistentin in London angerufen und gesagt, es habe ihn eine dringende Anfrage vom Kontinent erreicht und er fliege jetzt los, um die Einzelheiten des Vertrags zu besprechen. Während des kurzen Gesprächs erwähnte er beiläufig, er fliege nach Dänemark. »Wann werden Sie zurück sein, wenn überhaupt?« hatte Miß Thompson munter gefragt.
»Wenn sie mich sehen, bin ich wieder da …« Jetzt ist es Zeit, den Laden zu verkaufen, dachte Lennox, als er an Bord der Maschine ging. Er hatte das Unternehmen so gut organisiert, daß er ihm jetzt über längere Zeit fernbleiben konnte. Der Apparat lief von allein. Damit habe ich mich wieder einmal um einen Job gebracht, sagte er sich, während die Boeing 707 die Wolkendecke durchbrach und in einen strahlend blauen Himmel hineinflog, der immer da war, selbst über England - wenn seine Bewohner ihn nur sehen könnten. Der Hinweis auf Dänemark war eine Vorsichtsmaßnahme gewesen; wenn jemand im Büro nach ihm fragte, würde Miß Thompson den Mund halten; wenn aber ein besonders cleverer Besucher sie einwickeln würde, sollte man ihn ruhig in Kopenhagen suchen. Am Brüsseler Flughafen mietete er sich einen Mercedes 230 SL. Man bot ihm einen cremefarbenen Wagen an, aber er entschied sich für einen schwarzen; Schwarz ist unauffälliger, weniger leicht zu verfolgen. Lennox fuhr
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