Nullzeit
…«
Seine Beziehungen zu Marc Grelle waren vorzüglich: Der Präfekt verstand den Verteidigungsminister und ließ sich von Blanc nie überrumpeln. Wenn sie argumentierten, was oft vorkam, geschah dies mit einer wilden Lust am Wortwechsel, und Blanc wußte, wann er geschlagen war. »Das Schlimme an Ihnen ist, Grelle«, sagte er einmal dem Präfekten, »daß Sie nichts von Politikern halten …«
»Tut das überhaupt jemand?« erwiderte Grelle. Blanc suchte den Präfekten am Nachmittag auf, kurz nachdem Grelle von seiner Unterhaltung mit Danchin zurückgekehrt war. Es war typisch für Blanc, daß er mit seinem Lamborghini zur Präfektur fuhr, statt Grelle zu sich ins Ministerium kommen zu lassen, und noch typischer war, daß er auf der Treppe mit Grelles Sekretärin flirtete. »Ich werde Sie entführen müssen, Viviane«, sagte er dem Mädchen. »Für Polizisten sind Sie viel zu appetitlich!« Er stürmte ins Büro des Präfekten und lächelte breit, als sie sich die Hand gaben. »Welche politischen Implikationen hat dieser Attentatsversuch?« fragte er und machte es sich in einem Sessel bequem. Die Beine legte er auf die Armlehne.
»Wir hätten beinahe einen Präsidenten verloren«, erwiderte Grelle.
»Ich spreche von dieser Lucie Devaud«, sagte Blanc barsch.
»Wenn bewiesen werden kann, daß sie den Präsidenten gekannt hat - wenn auch nur flüchtig -, dann wird die Presse uns zerfetzen. Kann sie das?«
»Da fragen Sie besser den Präsidenten …«
»Das habe ich. Er sagt, er habe sie noch nie gesehen. Er könnte sich aber irren. Der Himmel weiß, wie viele Menschen er im Lauf der Jahre kennengelernt hat - oder denen er kurz begegnet ist. Was ich sagen möchte: Wenn Ihre Ermittlungen eine Verbindung ergeben, würden Sie mich dann bitte informieren?«
»Selbstverständlich …«
Kurz darauf verließ Blanc das Büro. Grelle lächelte grimmig,
als er vom Fenster aus sah, wie der Wagen mit überhöhter Geschwindigkeit auf das rechte Seine-Ufer zufuhr. Eigentlich durfte alles, was ans Licht kam, nur seinem Chef, Roger Danchin, berichtet werden, aber jedermann wußte, daß Blanc Auge und Ohr von Florian war, der Mann, der ein Problem löste, wenn eins auftauchte. Boisseau, der das Büro betreten hatte, als Blanc es verließ, sah dem Wagen nach. »Es ist unmöglich, einen solchen Mann zu verdächtigen«, bemerkte er.
»Wenn der Leopard existiert«, erwiderte Grelle, »dann nur deshalb, weil er eine Position erreicht hat, welche die Leute dazu bringt zu sagen: ›Es ist eigentlich unmöglich, einen solchen Mann zu verdächtigen …‹«
Eine 9-mm-Luger-Pistole, ein Fernglas, drei gefälschte Führerscheine und drei Sätze gefälschter französischer Ausweispapiere - für jeden Angehörigen des sowjetischen Kommandos eine komplette Ausstattung mit Papieren. Walther Brunner, das zweite Mitglied des Teams, saß allein in der Hütte am Rande der Rennstrecke. Er hatte eine französische Brille auf, als er die Ausweise prüfte. Die Ausrüstung, die sie mitnehmen würden, war weiß Gott dürftig, aber dafür waren auch die Zeiten längst vorbei, in denen sowjetische Kommandos mit exotischen Waffen wie etwa Pistolen mit Zyanidkugeln, die wie Zigarettenschachteln aussahen, in den Westen reisten. Das Handwerk des diskreten Mordens war inzwischen erheblich verfeinert worden. Brunner, in Karlsbad, dem heutigen Karlovy Vary, geboren, war vierzig Jahre alt; er war der älteste der drei Männer und hatte gehofft, die Führung übernehmen zu können, bis Borisov sich für Karel Vanek entschieden hatte. Er war kleiner als Vanek und schwerer gebaut und besaß ein weniger sprunghaftes Temperament; er war rundköpfig und würde bald kahl sein. Er glaubte zu wissen, daß es seine äußere Erscheinung gewesen war, die Borisov veranlaßt hatte, dem jüngeren Mann den Vorzug zu geben. Immerhin rangierte er als Nummer zwei des Kommandos, als Stellvertreter Vaneks. Wenn diesem etwas zustoßen sollte, solange sie im Westen waren, würde Brunner die Führung übernehmen. Seltsamerweise spielt die Rangordnung in kommunistischen Kreisen eine wichtige Rolle.
Brunner war der Planer des Kommandos, der Mann, der Reisewege und Zeitpläne - und Fluchtwege - ausarbeitete, bevor die eigentliche Mission begann, der Mann, der die gefälschten Papiere besorgt hatte und der später am Bestimmungsort entscheiden sollte, welche Art ›Unfall‹ inszeniert werden sollte. »Man muß immer drei verschiedene Pläne parat haben«, sagte Brunner
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