Nullzeit
Sie also ein persönlicher Freund des Polizeipräfekten?« Lennox versicherte ihm, daß dem nicht so sei, daß sie sich nur einmal begegnet seien, in Marseille, und sich nur eine Stunde unterhalten hätten, nämlich bei der Planung einer Abwehraktion gegen Terroristen. Am Ende der fünfzehn Minuten erklärte Lasalle, das genüge.
»Sie können für mich nach Frankreich gehen«, sagte er im Ton eines Mannes, der eine hohe Auszeichnung verleiht.
»Ich freue mich, daß ich den Test bestanden habe«, erwiderte Lennox ironisch, »aber Ihnen ist vielleicht nicht klar, daß ich noch nicht weiß, was ich von Ihnen halten soll …«
»Ist das notwendig?«
»Das ist unerläßlich. Verstehen Sie - ich bin derjenige, der den Kopf auf den Richtblock legen soll …«
Léon Jouvel. Robert Philip. Dieter Wohl.
Dies waren die Namen der drei Zeugen, wie Lasalle sie beharrlich nannte. Diese drei Männer sollte Lennox besuchen und diskret befragen. »Ich bin überzeugt, daß einer dieser drei Männer - die während des Krieges alle mit dem Leoparden zu tun gehabt haben - Ihnen etwas sagen kann, was uns zu dem... heutigen kommunistischen Agenten in Paris führen wird«, sagte der Franzose mit Nachdruck. »Jedenfalls sind sie, soweit mir bekannt, die einzigen Überlebenden, abgesehen von Annette Devaud - und die ist blind …«
»Devaud?« hakte Lennox nach. »Das war der Name der Frau, die Florian erschießen wollte …«
»Der Name ist nicht selten.« Lasalle zuckte die Achseln und machte eine ungeduldige Bewegung mit der rechten Hand.
»Ich sehe keinen Grund, da eine Verbindung zu vermuten. Und Annette Devaud, die jetzt über siebzig sein muß, ist seit Ende des Krieges blind. Eine blinde Person kann niemanden mit Sicherheit identifizieren. Also …«
Es hatte vor achtzehn Monaten begonnen - ein Jahr vor der stürmischen Auseinandersetzung mit Präsident Florian, die mit der Flucht des Obersten aus Frankreich geendet hatte. Lasalle beschäftigte sich gerade damit, einen kommunistischen Agenten zu verhören, der in einer französischen Armeekaserne in der Nähe von Marseille Zuflucht gesucht hatte. »In der Gegend wimmelte es von diesem Ungeziefer«, bemerkte der Oberst.
Lennox erfuhr, daß der Vernehmung eine › physische Sitzung‹ vorausgegangen war, bei der man den Mann namens Favel zu einem stöhnenden Wrack zugerichtet hatte. »Beim Versuch, aus der Kaserne zu fliehen«, erklärte Lasalle, »hätte er versehentlich einen Sergeanten erschossen. Die Männer, die ihn vor mir vernahmen, waren die Freunde des Sergeanten. Folglich …«
Eine Stunde nach Beginn der Vernehmung Favels durch Lasalle, kurz vor Mitternacht, hatte Favel begonnen, sich über die Résistance der Kriegszeit zu verbreiten. Zunächst hatte Lasalle das für einen Trick gehalten, mit dem Favel das Verhör in andere Bahnen lenken wollte; später wurde sein Interesse geweckt, als Favel wiederholt den Namen des Leoparden nannte. Mit Unterbrechungen - das Verhör dauerte schon über zwölf Stunden - hatte der gebrochene Mann dann eine seltsame Geschichte von einem Mann erzählt, der eines Tages von den Toten auferstehen werde, um Frankreich von dem kapitalistischen Joch zu befreien. Dieser Mann sei tatsächlich schon auferstanden und bewege sich auf den Straßen von Paris. »Lange Zeit erschien mir das als völliger Unsinn«, erklärte Lasalle. »Ich glaubte, es mit einem religiösen Eiferer zu tun zu haben - merkwürdig bei einem überzeugten Kommunisten -, und dann sagte er mir, er habe sich in der Kaserne versteckt …« »Versteckt?« fragte Lennox.
»Er hatte sich vor seinen eigenen Leuten versteckt«, sagte Lasalle ungeduldig. »Ich hatte die Sache falsch verstanden - er spionierte nicht für die kommunistische Zelle in Marseille, sondern floh vor seinen eigenen Leuten. Und welches Versteck ist besser geeignet als eine Kaserne - so muß er wohl gedacht haben. Sie waren hinter ihm her und wollten ihn töten - ich glaube, weil er zuviel wußte.«
»Aber wußte er wirklich etwas?«
»Er sagte, er spreche nicht von einem gewöhnlichen Spion - nicht von einem dieser Beamten, die im Dunkel der Nacht geheime Dokumente fotografieren oder Mikrofilme in Zigarren übergeben und solche absurden Dinge treiben. Nein, Favel sprach von einem hochgestellten Mandarin nahe dem Zentrum... der Macht. Von einem Mann, der jahrelang gewartet und beharrlich an seinem Aufstieg gearbeitet hat - ohne auch nur einen einzigen Kontakt zu irgendeiner kommunistischen
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