Nullzeit
…«
»Marc«, warf Nash ruhig ein. »Ich sage Ihnen jetzt, daß Sie der einzige Mensch in dieser Botschaft sind, der zu hören bekommt, was ich soeben erzählt habe …«
»Warum?« fuhr Grelle fort.
»Weil Sie der einzige Franzose sind, dem ich dieses Geheimnis wirklich anvertrauen kann - Sie sind der einzige Verbindungsmann, den ich habe warnen wollen. Nur deshalb bin ich hier. Ich möchte Sie bitten, auf der Hut zu sein - außerdem haben Sie Mittel und Wege, meine Angaben zu prüfen, Mittel, die wir nicht einmal versuchsweise einsetzen könnten …«
»Sie würden sich eine blutige Nase holen, wenn Sie’s versuchten!« Grelle bewegte sich mit hochrotem Gesicht auf die Tür zu. Dann schien er sich zu beruhigen und sprach mit dem Amerikaner einige Minuten über andere Dinge. Nachdem der Präfekt gegangen war, rekapitulierte Nash die Begegnung. Es war eine sehr geschliffene Vorstellung, sagte sich Nash: Zorn über die Unterstellung und dann ein kurzes Lösen der Spannung, um dem Amerikaner anzudeuten, daß sie auch künftig Freunde bleiben würden. Nash zündete sich eine Zigarette an und flanierte über den Flur zurück in den Empfangssaal. Er war mit dem Ergebnis seiner Reise nach Paris zufrieden. Trotz seines Aufbrausens würde Grelle der Sache nachgehen. Grelle war durch und durch Polizist. Grelle ging allem auf den Grund.
Um sich Zeit zum Nachdenken zu geben, fuhr Grelle in einem großen Bogen zur Präfektur zurück. Auf dem Weg dorthin kam er am Elysée-Palast vorbei. Vor der Einfahrt mußte er anhalten, während eine schwarze Zil-Limousine mit einem Fahrgast im Fond aus dem Hof des Palasts auf die Straße hinausfuhr. Leonid Vorin, der sowjetische Botschafter in Frankreich, fuhr nach einem seiner fast täglichen Besuche bei Guy Florian in seine Residenz zurück. Seitdem der Flug nach Moskau am 23. Dezember angekündigt worden war, hatte der sowjetische Botschafter sich oft mit dem Präsidenten beraten. Der schwarze Zil war auf dem Weg von der Botschaft in der Rue Grenelle zum Elysée und zurück oft gesehen worden. Leonid Vorin, klein und untersetzt, mit herabhängenden Mundwinkeln und einer randlosen Brille, saß im Fond und starrte nach vorn. Als der Wagen auf die Straße fuhr und in Richtung Madeleine davonfuhr, sah der Botschafter weder nach links noch nach rechts.
Der uniformierte Polizist, der Grelle angehalten hatte, salutierte und bedeutete ihm, weiterzufahren. Grelle fuhr fast automatisch. Ihm ging im Kopf herum, was Nash ihm erzählt hatte. Bis vor einer halben Stunde hatte sein Verdacht sich nur auf die eigenartige Geschichte Gaston Martins und auf den Bericht des Cayenner Polizeichefs stützen können. Das alles war zwar beunruhigend, aber keineswegs schlüssig bewiesen. Jetzt kam die gleiche Geschichte aus Washington. Bald würden die Gerüchte womöglich durch die Hauptstädte Europas schwirren. Wie Grelle später zu Boisseau sagte: »Ich glaube kein Wort von Nashs Märchen über einen russischen Überläufer - er hat seinen wirklichen Informanten geschützt -, aber dies ist eine Angelegenheit, der wir unter größter Geheimhaltung nachgehen müssen …«
Auf dem Pont Neuf herrschte dichter Verkehr. Auf seiner Weiterfahrt zur Ile de la Cité zitterte Grelle plötzlich; es war ein nervöses Zittern, das nichts mit der kalten Nachtluft zu tun hatte, die sich jetzt über Paris legte. Die Welt des Polizeipräfekten war plötzlich ins Schwanken gekommen wie tückischer Treibsand; darunter konnte alles mögliche verborgen liegen. »Roger Danchin … Alain Blanc …«, murmelte er vor sich hin. »Es ist undenkbar.«
Lennox verließ das abgelegene Bauernhaus etwa um die Zeit, zu der Grelle zur Präfektur zurückkehrte. Lennox fuhr jetzt durch dichte Regenschleier nach Saarbrücken zurück. In der Ferne grollte Donner durch die Nacht. Das Unwetter entsprach seiner Stimmung; auch er war durcheinander. An einem bestimmten Punkt der Unterhaltung hatte er den Obersten gefragt, wer die Liste mit Namen und Adressen getippt habe, die er jetzt in der Brieftasche trug. »Hauptmann Moreau, mein Assistent, natürlich«, hatte Lasalle erwidert.
»Er ist der einzige Offizier gewesen, der Frankreich mit mir verlassen hat, und ich vertraue ihm vollkommen.«
»Sie haben ihm meinen wirklichen Namen aber erst kurz vor meiner Ankunft anvertraut«, hatte Lennox betont.
»Als ich von Saarbrücken aus anrief, hatte er keine Ahnung, wer ich war …«
»Damit wollte ich Sie bis zu Ihrer Ankunft hier
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