Nullzeit
Präfekt damals säuerlich bemerkt hatte.
Als Cassin von seinem kurzen Spaziergang zurückkehrte, verließ Grelle die Sûreté und fuhr zu seiner Wohnung auf der Ile Saint-Louis zurück. Als nächstes würde er die Personenbeschreibung von Alan Lennox an alle französischen Grenzposten durchgeben.
6
Léon Jouvel. Robert Philip. Dieter Wohl. Die Liste der Namen und Adressen sagte weder Grelle noch Boisseau etwas. Der Umschlag mit dem maschinengeschriebenen Bogen war am Dienstagmorgen, dem 14. Dezember, in der Präfektur angekommen. Der Briefumschlag war auf etwas verschlungenen Wegen in die Hand des Präfekten gelangt. Hugon-Moreau, der für den Fall, daß er etwas mit der Post schicken wollte, genaue Instruktionen erhalten hatte, hatte den Briefumschlag an eine Adresse in der Rue St. Antoine in der Nähe des Place de la Bastille geschickt. Die Rue St. Antoine liegt in einem der vielen ›dörflichen‹ Bezirke von Paris, welche die Stadt zu einer der komplexesten und vielgestaltigsten Großstädte der Welt machen. Der Brief war an den Inhaber einer kleinen Bar adressiert, der über seinem Lokal wohnte; dieser ehemalige Polizeisergeant besserte sein Einkommen ein wenig auf, indem er für die Sûreté als Briefkasten fungierte. Unter den gegebenen Umständen wäre es von Moreau wenig umsichtig gewesen, eine Nachricht direkt in die Rue des Saussaies zu schicken. Der Barbesitzer, dem der Brief vorher angekündigt worden war, hatte die Sûreté nach dessen Eintreffen sofort verständigt. Diese wiederum hatte den Präfekten telefonisch benachrichtigt. Um zehn Uhr morgens war ein Bote mit einem Brief zu Grelle gekommen.
»Diese Namen sagen mir gar nichts«, sagte Boisseau zu Grelle, als sie gemeinsam die Liste überflogen. »Glauben Sie, daß Hugon Informationen erfindet, um seine viertausend Franc im Monat zu rechtfertigen?«
»Nein, das tue ich nicht. Sehen Sie doch mal den deutschen Namen - Dieter Wohl. Ich habe in der Akte über den Leoparden von ihm gelesen. Er war der Abwehroffizier, der während des Krieges im Lozère gearbeitet hat. Wenn ich mich recht erinnere, hat er über die Tätigkeit des Leoparden eine Akte angelegt …«
»Wie dem auch sei«, sagte Boisseau, der an seiner erkalteten Pfeife sog. »Wie ich Ihnen immer wieder sage: Der Leopard ist tot …«
»Hören Sie, Boisseau. Wir haben zwei Angaben, die einander ausschließen. Erstens: Petit-Louis, der Stellvertreter des Leoparden, von dem wir heute wissen, daß er in Wahrheit Gaston Martin hieß, hat mit aller Bestimmtheit ausgesagt, er habe den Leoparden vor fünf Tagen durch das Eingangstor zum Elysée gehen sehen. Das ist eine Tatsache - er hat diese Aussage gemacht. Tatsache Nummer zwei: Der Leopard ist tot - das steht in der Akte. Wie bringen wir diese beiden widersprüchlichen Angaben miteinander in Einklang?« »Wir prüfen sie …«
»Genau. Ich möchte alles sehen, was über die Beisetzung des Leoparden im Jahre 1944 in den Akten festgehalten ist. Ich will wissen, wo sich das Grab befindet, ob ein Priester der Beerdigung beigewohnt hat, wer der Bestattungsunternehmer war, ob dieser noch am Leben ist - jedes kleine Detail, das Sie ausgraben können. Rufen Sie meinen Freund Georges Hardy an, den Polizeipräfekten von Lyon. Aber sagen Sie ihm, daß diese Nachforschungen unter uns bleiben müssen …« Sein Stellvertreter wollte gerade den Raum verlassen, als Grelle ihn zurückrief.
»Noch eines, Boisseau, ich möchte die Information von gestern …«
Danach bat der Präfekt seine Sekretärin zu sich, der er eine vertrauliche Notiz an Roger Danchin mit dem jüngsten Bericht von Hugon-Moreau diktierte. Als sie geschrieben war, setzte er seine Initialen darunter und schickte sie sofort durch Boten zum Place Beauvau. Und wie das gelegentlich bei Untergebenen ist, die einem Vorgesetzten einen Bericht liefern müssen, so zensierte auch Grelle die Notiz - er ließ jeden Hinweis auf den Leoparden aus. Danchin las die Notiz noch vor Mittag.
Schon vorher, gleich nach der Ankunft im Büro, hatte der Präfekt die Maschinerie in Gang gesetzt, die innerhalb weniger Stunden dafür sorgen würde, daß sämtliche französischen Grenzkontrollstationen im Besitz des Namens und der Beschreibung von Alan Lennox waren. »Es ist merkwürdig«,
sagte Grelle zu Boisseau, »ich habe einmal einen Mann mit diesem Namen kennengelernt. Ich war damals in Marseille. Lassen Sie jemanden mit dem richtigen Mann an unserer Botschaft in London telefonieren. Der
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