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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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durch den Torbogen zur Straße. Es war kurz nach sieben - unterdessen hatte es wieder zu regnen begonnen -, als Bonheur einen alten Mann mit Regenschirm sah, der sich dem Haus Nr. 49 mit schlurfenden Schritten näherte.
     Kaum eine Minute, nachdem der Franzose zu Hause angekommen war, klopfte Lennox an die Wohnungstür. In geschäftsmäßigem Ton erklärte er, er sei Reporter der Pariser Zeitung Le Monde, die eine Artikelserie über die Résistance plane. Soviel er wisse, sei Jouvel Angehöriger der im Lozère operierenden Gruppe gewesen. Er würde von ihm gern etwas über seine damaligen Erfahrungen und Erlebnisse hören. Nichts, so versicherte er, Jouvel, werde ohne seine Einwilligung veröffentlicht. Außerdem, fügte Lennox beiläufig hinzu, werde Jouvel ein Honorar erhalten …
     »Was für ein Honorar?« wollte Jouvel wissen. Er stand in der Tür und trug noch immer seinen gelben Regenmantel. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Er hatte die Frage gestellt, um etwas Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Über ein Jahr lang hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich mit seinem Verdacht an die Behörden zu wenden, und hier bot sich nun eine Gelegenheit, die ihm auf einem goldenen Tablett serviert wurde. Soll ich mit diesem Mann reden? fragte er sich.
     »Zweitausend Franc«, bemerkte Lennox kurz. »Das heißt, wenn die Information so viel Geld wert ist - wenn sie Auflage macht. Für fünfzehn Minuten Ihrer Zeit zahle ich auf jeden Fall zehn Prozent dieses Betrags.«
     »Bitte, treten Sie ein«, sagte Jouvel. Lennox hatte auf einem zweisitzigen Sofa im Wohnzimmer Platz genommen. In den ersten Minuten bestritt er die Unterhaltung allein, um Jouvel zu beruhigen. Die Reaktion des Franzosen verwirrte ihn. Jouvel saß in einem Lehnsessel und starrte ihn mit einem geistesabwesenden Blick an, als versuchte er, sich zu einem Entschluß durchzuringen. Als Lennox den Leoparden erwähnte, schloß Jouvel die Augen und öffnete sie dann wieder.
     »Was ist mit dem Leoparden?’« fragte der Franzose mit rauher Stimme. »Ich habe eng mit ihm zusammengearbeitet. Ich war sein Funker. Aber er ist doch tot, nicht wahr?«
     »Wirklich?« Diese kurze Frage, von Lennox instinktiv gestellt, als er spürte, daß auch Jouvel dessen nicht sicher zu sein schien, hatte einen seltsamen Effekt auf den Franzosen. Er schluckte, starrte Lennox an, blickte dann zur Seite, holte ein Taschentuch hervor, mit dem er sich die feuchten Handflächen seiner rundlichen Hände wischte.
     »Natürlich«, fuhr Lennox fort, »würden wir Ihre Geschichte als die eines ›anonymen, aber zuverlässigen Zeugen‹ bringen, wenn Ihnen das lieber ist. Dann könnte niemand Sie mit der Sache in Verbindung bringen. Das Geld würden Sie aber trotzdem erhalten …«
     In Jouvels Kopf rastete etwas ein. Der Druck, unter dem er seit Monaten gelebt hatte, wurde jetzt unerträglich, wo ihm jemand gegenübersaß, mit dem er sprechen konnte. Er erzählte Lennox die ganze Geschichte. Der Engländer, der sein Notizbuch hervorgeholt hatte, um den Schein zu wahren, achtete peinlich darauf, den Franzosen nicht anzusehen, während dieser aufgeregt loslegte. 
    »Es muß Ihnen lächerlich vorkommen … jedesmal, wenn ich ihn im Fernsehen höre … der Leopard ist, das weiß ich, 1944 erschossen worden - und dennoch …«
     Der Wortschwall brach aus Jouvel heraus, als wäre er ein Beichtender, der sich einem Priester offenbart, um sich Erleichterung zu verschaffen. Zunächst blieb Lennox skeptisch; er hatte das Gefühl, einen Verrückten zu interviewen. Aber als Jouvel fortfuhr zu sprechen und die Worte hervorzusprudeln, wurde er nachdenklich. »Die Art, wie sie bei der Beerdigung mit dem Sarg umgingen … keine Achtung vor dem Toten … beinahe brutal … als wäre der Sarg leer gewesen …«
     Am Ende der fünfzehn Minuten stand Lennox auf und machte sich bereit zu gehen. Der Franzose wiederholte sich nur noch. Statt der zweihundert Franc gab Lennox ihm fünfhundert von der Summe, die Lanz ihm zur Verfügung gestellt hatte. »Kommen Sie doch morgen wieder«, drängte Jouvel, »vielleicht kann ich Ihnen noch mehr sagen …« Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber der aufgeregte, kleine Ladenbesitzer war sich nicht sicher, was er jetzt angerichtet hatte. Er wollte sich die Chance geben, seine Aussage zu widerrufen, falls er morgen früh das Gefühl haben sollte, einen schrecklichen Fehler gemacht zu haben.
     »Ich werde morgen wiederkommen«, versprach Lennox. Er verließ

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