Nummer Drei: Thriller (German Edition)
es auch nannte.
»Ich glaube, nicht das Geld macht die Menschen glücklich«, behauptete ich. »Geld ist nicht das Wichtigste. Nicht wichtiger als Familie, Freunde und so weiter. Geburtstagspartys. Manchmal denke ich, ich würde gern mit jemandem tauschen, der nur einen Bauernhof und ein paar Hühner hat, den ganzen Tag das Meer betrachtet und sich um nichts kümmern mus s … Dabei weiß ich, wie dämlich das klingt. Ich sollte den Mund halten.«
Ich hielt den Mund.
Wir blickten beide zum dunklen Meer hinunter, auf dem sich die funkelnden Sterne spiegelten, damit wir einander nicht ansehen mussten. Das war beunruhigend und befreiend zugleich.
»Geld ist wichtig in Somalia«, erklärte er nachdenklich. »Wenn du keine Arznei, keine Lebensmittel und kein Wasser hast, ist Geld wichtig.«
»Natürlich. Ic h …«
»Wir können mit keinem anderen tauschen. Deine Worte habe ich nicht mal zur Hälfte verstanden. Siehst du das ein? Du denkst: Oh, mein Leben wäre besser, wenn dieses oder jenes so wäre oder nicht so wäre. Solche Überlegungen stellt in Somalia niemand an, weil es nichts Besseres gibt.«
Seine Stimme war kälter und klang älter, als er tatsächlich war. Damals kannte ich sein Alter nicht und schätzte ihn auf siebzehn oder achtzehn. Seine Stimme jedoch war hundert Jahre alt.
So seltsam es klingt, ich glaubte ihn zumindest teilweise zu verstehen.
Außerdem kam ich mir dumm und unbeholfen vor, als wäre ich gerade aufgewacht und versehentlich in einen Körper geschlüpft, der mir zu groß war und der sich anfühlte wie die Kleidung eines anderen Menschen. Zu schwer und zu klobig für meine Knochen.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich wollte nich t … ich meine, auch reiche Leute machen üble Erfahrungen.«
»Und welche üblen Erfahrungen hast du gemach t ?«, fragte er herausfordernd.
»Gib mir auch eine!« Ich deutete auf seine Zigarette.
Er hob die Brauen, kam meinem Wunsch jedoch wortlos nach und gab mir seine eigene, damit ich meine Zigarette anzünden konnte. Der Tabak zischte und knackte, als er Feuer fing. Ich inhalierte den Rauch tief in die Lungen und hatte das Gefühl, er breite sich in mir aus und verwandle meinen ganzen Körper ebenfalls in Rauch, bis ich nur noch aus Luft und Rauchpartikeln und nicht mehr aus Fleisch und Blut bestand.
Ich atmete aus und sandte mich und meine Partikel in die Nachtluft hinaus.
Und dann erzählte ich es ihm.
Doch kaum hatte ich begonnen, stockte ich schon wieder.
»Ic h …«, setzte ich an und hielt inne. »Ich mein e … äh.«
»Schon gut«, sagte Farouz. »War ich z u … neugierig?«
»Ja, neugierig, so heißt es«, antwortete ich.
»Tut mir leid.«
»Nein. Also, ja, das Wort ist richtig, aber du warst nicht neugierig.«
»Oh.«
Ich holte tief Luft.
»Meine Mutte r … si e …«
Er blickte mir in die Augen, und es kam mir auf einmal gar nicht mehr seltsam vor.
»Die Frau auf der Jacht ist nicht deine Mutter«, erwiderte er sanft.
»Nein«, bestätigte ich.
»Diese Frau, die mit den roten Fingernägeln, ist deine Stiefmutter.«
»Ja.«
»Verstehe«, sagte Farouz.
»Nein, du verstehst es nicht«, widersprach ich. Vieles hatte ich noch niemandem erzählt. Nicht einmal meinem Vater.
Farouz hielt sich an der Reling fest und blickte ins Meer hinab. Er drängte mich nicht.
»Eines Tages rief Mom mich an, als ich eigentlich im Unterricht sein sollte«, erzählte ich. »Damals ging ich in Surbiton in London zur Schule. Ich hätte das Gespräch eigentlich nicht annehmen dürfen, aber ich hatte eine Freistunde und war im Gemeinschaftsraum, also meldete ich mich. Mom freute sich. Sie hatte ein neues Antidepressivum bekommen, das recht gut anschlug, und ein neues Antipsychotikum. Das bestärkte sie endlich in der Überzeugung, dass Gott sie nicht für ihre Schlechtigkeit bestrafen wollte.«
»Entschuldigung?«, fragte Farouz.
»Schon gut«, beschwichtigte ich ihn. »Es ist nicht so wichtig.«
»Gut«, antwortete Farouz. Er schwieg und sah mich einfach nur an, so als sei ihm klar, dass die Geschichte noch nicht zu Ende war.
»Sie sagte mir, falls ihr etwas zustoßen sollte, müsse ich mich um meinen Dad kümmern.« Meine Stimme brach beinahe. Diesen Teil hatte ich meinem Dad nicht erzählt, ich hatte bisher mit niemandem darüber gesprochen. »Ich beruhigte sie, dass ihr schon nichts passieren werde«, fuhr ich fort. »Sie beharrte darauf, dass ich mich um meinen Dad kümmern müsse, wenn sie starb.«
Farouz nickte bedächtig.
»War
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