Nummer Drei: Thriller (German Edition)
schon in den Nachrichten, aber es wird noch viel schlimmer. Unsere Ban k … wir sind Risiken eingegangen. Und ich wa r … man könnte wohl sagen, ich war derjenige, der am meisten riskierte.«
Ich beobachtete das sich ewig verändernde Meer und verdaute Dads Worte.
»Risiken?«, fragte ich. »Bist d u … ich meine, bekommst du Ärger mit der Polizei?«
»Nein«, widersprach Dad sofort. »So ist das nicht. Es waren nur Maßnahmen, die auch andere Banken vornahmen, vor allem Hypothekenderivate. Man nennt sie auch Collateralized Debt Obligations . Wir haben sie gekauft und verkauft, und jetzt fallen die Rückzahlungen aus.«
»Sind diese Derivate so etwas wie die Ableitungen in der Differenzialrechnung?«, fragte ich.
Das kannte ich aus der Schule. Die Ableitung von x 2 + 4 x ist 2 x + 4 .
»Nein«, antwortete Dad. »Das ist etwas anderes. Derivate sind Finanzprodukte, die auf Hypotheken beruhen. Wie sich jetzt herausstellt, waren es die falschen.« Er sah mich an. »Man könnte sagen, wir haben es vermasselt.«
»Was wird die Bank tun? Ist sie pleite?«
»Wahrscheinlich nicht. Vermutlich wird sie weiterverkauft. Aber einige Mitarbeite r … dort mussten Entscheidungen fallen, Amy. Sie misten aus.«
»Was heißt hier, sie misten aus? Du bis t … was weiß ich. Du bist doch der Direktor des Investmentbanking oder so. Du hast das Sagen.«
»Nicht mehr.«
»Oh.«
Anscheinend war das eine neue Gleichung: Die Ableitung von Hypotheken war die Arbeitslosigkeit.
Ich hatte das Bedürfnis, seine Hand zu halten, aber ich hielt mich zurück. Nach Moms Tod war er nie für mich da gewesen. Er hatte immer nur gearbeitet. Nun hatten sie ihn hinausgeworfen. Warum sollte ich plötzlich für ihn da sein?
»Du hast doch gesagt, die Bank habe die Jacht versichert«, überlegte ich. »Deshalb ist Tony mitgefahren.«
»Genau, Amy. Es ist kompliziert. Ich halte Geschäftsanteile. Sie können mich wegrationalisieren, aber sie können mich nicht in den Tod schicken.«
»Na gut«, meinte ich. »Juchhu!«
»Hm«, machte Dad. »Das ist also mein Geheimnis. Und was ist mit dir? Willst du die Abschlussprüfungen wiederholen?«
»Falls du es noch nicht bemerkt hast, Dad, wir sind Geiseln.«
»Das weiß ich«, antwortete er. »Aber wir dürfen den Kopf nicht hängen lassen.«
»Nein? Wer sagt das?«
»Weiß ich nicht. Ich sage es.«
»Oh, na ja, wenn das so is t …«
Dad streckte sich verdrossen.
»Hör mal, beantworte doch einfach meine Frage! Was ist mit deiner Abschlussprüfung?«
»Nein«, antwortete ich.
»Also, das ist wirklich eine reife Entscheidun g …«
»Nein, ich wiederhole die Prüfungen nicht. Ich überlege mir, ob ich mir einen Job suche. Vielleicht in einer Bar.«
Dad seufzte.
»Was denn, ist das nicht gut genug für dich?« Die Verärgerung sprang so rasch in mir auf, als hätte in meiner Brust ein Funke gezündet.
»Nein, ich bin nur nicht sicher, o b …«
»Ob deine Tochter einer so primitiven Beschäftigung nachgehen sollte? Als wäre sie arm?«
Dad atmete tief durch.
»Meine Eltern waren Polsterer, Amy.«
»Genau. Und jetzt bist du reich und hast reiche und berühmte Freunde. Wie peinlich wäre es da, wenn deine Tochter als Bedienung arbeiten würde.«
»Mir ist es gleich, was andere denken«, antwortete Dad. »Ich denke an dich. An deine Lebensplanung. Was ist, wenn du in fünf Jahren immer noch hinter der Theke stehs t ? Du hast eine Begabung, Amy. Du kannst Geige spielen, und das Talent solltest du einsetzen. Du könntest dich immer noch an der Yehudi Menuhin School bewerben.«
»Sag mir nicht, was ich tun soll!«
»Ich meine ja nur. Schau mich an. Ich habe mein halbes Leben in dieser Bank verbracht und frage mich inzwischen, was ich die ganze Zeit getan habe. Deshalb wollte ich fort. Ich habe die Jacht gekauft, um etwas Neues zu entdecken.«
»Also ging es vor allem darum?« Der Funke in mir brannte lichterloh, so als erwache ein Gasofen zum Leben. Hätte ich mir die Hand bis zu den Lungen in den Hals gesteckt, dann hätte ich Feuer gespien.
»Amy.«
»Also hatte es gar nichts damit zu tun, dass du Zeit mit der Familie verbringen wolltest«, warf ich ihm vor. »Du hast dich in der Bank eingesperrt gefühlt und brauchtest Ablenkung.«
Dad zuckte zusammen, seine Augen bekamen einen seltsamen Schimmer. Er hatte Schuldgefühle.
»Nein, so war es nicht«, widersprach er.
»Was hast du dort eigentlich wirklich getan?«, fragte ich. »Was sind Hypothekenderivate? Hast du den Leuten das
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