Nummer Drei: Thriller (German Edition)
Jacht konnte ich nicht mehr vor mir selbst fliehen, und es gab keinerlei Ablenkung. Ich saß mit meiner ganzen Gewöhnlichkeit fest, steckte wie eine Gefangene in meiner eigenen Haut und fragte mich unablässig, ob Farouz Gefühle für mich hatte.
Die Frage, welche Folgen dies haben mochte, stellte ich mir gar nicht erst. Kein Gedanke daran, dass ich möglicherweise, genau wie die warnenden Vorbilder in den Märchen, schrecklich büßen musste, wenn ich genau das bekam, was ich mir wünschte.
Jeden zweiten Tag erlaubten uns die Piraten zu duschen. Ich war froh, als ich am nächsten Tag an der Reihe war, weil ich mich verschwitzt und unwohl fühlte. Ich ging zuerst, nach mir kam die Stiefmutter und sagte, sie werde frühestens eine Stunde später wieder auftauchen. Ich fand, sie sollte sich beeilen, denn zur Warmwasseraufbereitung dienten Sonnenkollektoren, die nicht so lange mitspielen würden.
Während sie sich wusch, suchte ich das hintere Deck auf. Ich war überrascht, Dad dort zu finden. Er saß auf der Tauchplattform und ließ die Füße ins Wasser hängen. In einer Hand hielt er ein Glas mit einem dunklen Getränk, in dem getreideähnliche Flocken schwammen.
Gewöhnlich ging ich meinem Dad aus dem Weg, aber ich hatte wohl leichte Schuldgefühle, weil ich am vergangenen Abend mit Farouz gesprochen hatte, obwohl ja eigentlich gar nichts passiert war. Jedenfalls trat ich auf ihn zu. Mein Schatten fiel über ihn.
»Ich fürchte, ich sehe nicht richtig!«, rief ich.
»Was fürchtest du denn?«
»Den Kaffee«, antwortete ich. »Die Sorte, die die Piraten brauen. Halb Kaffee, halb Zucker und lauwarmes Wasser.«
Aus irgendeinem Grund entspannte sich Dads Gesicht, und seine Miene wurde weicher.
»Genau«, antwortete er. »Andere Länder, andere Sitte n …« Er hob das Glas und prostete Ahmed zu, der über uns mit einer Waffe in der Hand vorbeischlenderte. Ahmed salutierte als Antwort.
So gewinnt mein Dad neue Freunde. Ich muss schon sagen, es ist wirklich bizarr. Aber ich sprach es nicht laut aus.
»Bäh, Dad!«, sagte ich stattdessen. »Das Zeug ist widerlich.«
Ich streifte die Sandalen ab und setzte mich neben ihn. Er trug Shorts, die Beine verschwanden im klaren warmen Wasser – oder vielmehr, sie verschwanden nicht, sondern bildeten an einer bestimmten Stelle an den Waden einen Knick und standen schräg, als wären sie auf der Höhe des Wasserspiegels gebrochen.
Ich hielt ebenfalls die Beine ins Wasser, und auch bei mir knickten sie ab. Über das seidige und recht kühle Wasser erschrak ich ein wenig. Seltsam, wie einfach die Bedürfnisse werden, wenn man in drückender Hitze sitzt, in der man kaum atmen kann.
Hitze verlangt Kälte. Mehr will der Körper nicht, das reicht schon.
»Das tut gut«, sagte ich. »Erfrischend.«
»Ja«, stimmte Dad zu.
Ich schloss die Augen. Die Piraten hatten die Maschine angelassen, um den Computer mit Strom zu versorgen. Der Lärm bildete einen Kontrapunkt zum Plätschern der Wellen. Der Ton war ähnlich, aber der Rhythmus war ganz anders als in der Barockmusik. Ich dachte rasch an etwas anderes, ehe ich mich an meine Geige erinnerte.
In diesem Moment roch ich Dads Getränk.
»O mein Gott, Dad!«, stieß ich hervor.
»Was is t ?«
»Das ist nicht nur Kaffee.«
Er betrachtete das Glas, als hätte es ihm gerade erst jemand in die Hand gedrückt.
»Nein, ist es nicht.«
»Aber du hasst doch Alkohol.«
»Wirklich?«
»Als Mom getrunken hat oder als ich es getan hab e …«
»Ich hasse es, wenn meine Tochter trinkt. Du bist siebzehn.«
»Fast achtzehn.«
Dad seufzte.
»Ich will nicht darüber streiten, Amy«, sagte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
»Nein, so leicht kommst du mir nicht davo n …«
»Ich habe meinen Job verloren, Amybärchen.«
Ich wandte mich so abrupt zu ihm um, dass er beinahe den Drink verschüttet hätte. Die Kälte in mir wurde stärker und kam nicht mehr nur aus dem Wasser. Er sah immer noch gut aus mit dem ergrauten Haar. Er hatte auch Krähenfüße, aber die grünen Augen waren unverändert. Scharfe, kluge Augen, immer in Bewegung. Was beweist, dass sich an den Augen nicht unbedingt ablesen lässt, was in einem Menschen vorgeht. Die grauen Augen meiner Mom blickten stets ruhig, obwohl ihr Geist so aufgewühlt war.
»Machst du Witze?«, fragte ich.
»Ganz bestimmt nicht.«
»Abe r …«, begann ich. »Warum?«
Er holte tief Luft.
»Das Finanzsystem ist in Turbulenzen geraten«, erklärte er. »Es kam auch
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