Nummer Drei: Thriller (German Edition)
gebrochenen Rippen, das Schlüsselbein, das Bein und die Hüfte zu richten, unternahmen drei Versuche, mit Druckmassagen und Elektroschocks unter steigender Stromspannung ihr Herz wieder in Gang zu bringen – ich habe den ärztlichen Bericht gelesen, er lag auf Dads Schreibtisch, und ich kann es nie, nie mehr vergessen –, bis sie nach dem letzten Stromstoß mit dem Defibrillator aufgeben mussten und die Zeit notierten. Um 14 . 01 Uhr und 45 Sekunden am 22 . Juli 2006 starb meine Mutter, bezeugt von Dr. Hafaz mit beinahe unleserlichem Gekrakel auf dem Totenschein.
17 Farouz schwieg sehr lange. Ich glaubte sogar zu sehen, wie er im Dunkeln die Stirn runzelte.
»Oh, warte!«, rief ich. »Deine Religion. Wahrscheinlich glaubst du, wer Selbstmord begeht, landet in der Hölle oder so. Es tut mir leid.«
Ich wusste nicht, warum ich mich überhaupt entschuldigte. Wahrscheinlich nur aus Höflichkeit.
Er atmete scharf ein, dann berührte er meine Hand.
»Ich glaube, wenn ein Mensch Selbstmord begeht, verlässt er die Hölle, statt darin zu landen«, erwiderte er.
In diesem Moment trat der Mond hinter den Wolken hervor, und ich sah Farouz in die Augen. Dann riss ich mich los und blickte nach unten.
»Ich habe einen Bruder.« Wieder nahm er meine Hand.
Ich sah ihn an. Was er gerade gesagt hatte, wa r … es klang, als hätte es nichts mit meiner Erzählung zu tun, aber irgendwie gab es wohl doch einen Bezug. Sofort dachte ich, sein Bruder sei tot. Dann: Hoffentlich nicht . Aber ich war ziemlich sicher, dass ich richtiglag.
»Älter als du?«, riet ich. Sein beinahe ehrfürchtiger Tonfall hatte mir den Hinweis gegeben.
»Ja. Er sitzt im Gefängnis.«
»Warum?«, fragte ich. Oh, dachte ich gleichzeitig. Dann ist er gar nicht tot.
»Hierfür. Weil er ein Küstenwächter war.«
»Ein Küstenwächter?«
»Ganz recht. Ihr nennt uns Piraten. Wir nennen uns Küstenwache. Wir sind die Küstenwache Südliches Zentralland.«
Ich schnaubte nur.
»Findest du das witzig?«, fragte er. »Die Einwohner hier waren Fischer. Weißt du, was mit ihnen passiert is t ?«
»Nein.«
»Aus deiner Heimat und aus anderen Ländern im Westen sind Schiffe gekommen und haben 1991 nach dem Zusammenbruch unserer Regierung die Gewässer leer gefischt. Niemand hielt sie auf. Deshalb haben sich unsere Fischer Waffen besorgt und sie angegriffen, damit sie nicht mehr unseren Fisch stehlen konnten. Wegen des Kriegs gab es viele Waffen. Dann kamen die Fischerboote mit Begleitschiffen der Marine, gegen die wir nichts ausrichten konnten. Also haben wir stattdessen Schiffe gestohlen. So hat es angefangen.«
In meinem Kopf drehte sich alles. Bisher war ich nicht auf den Gedanken gekommen, diese Männer könnten eine ganz eigene Geschichte haben und irgendetwas anderes als schlichte Diebe sein.
»Gut«, antwortete ich. »Also bist du mit deinem Bruder bei der Küstenwache.«
»Nein, eigentlich nicht. Ich bin dabei, aber er nicht.« Farouz lachte freudlos.
»Waru m …«
»Warum er im Gefängnis sitz t ? In Somalia haben wir einen Spruch: Wenn du den Dieb nicht fangen kannst, fang seinen Bruder. «
»Als o …«
»Nun, er ist mein Bruder. In Galkayo, wo wir leben, fuhr er im falschen Auto. In einem teuren Auto, das einem Freund von uns gehörte. Er ist wie ich, aber älter und erfolgreicher. Wenn du in Galkayo eine nette Kutsche hast oder dir eine große Bude kaufst, dann kommt die Polize i …«
»Entschuldige – eine Bude?«
»Ist das nicht das richtige Wor t ? Ich meine ein Haus.«
»Ich kenne das Wort. Es ist nu r … manchmal reden amerikanische Gangster so.«
Er hob die Schultern.
»Manchmal sehe ich MTV und schnappe etwas auf.«
Es war mir peinlich. Ich hätte nichts sagen sollen.
Ich kam wieder auf das Thema zurück. »Also haben sie deinen Bruder angehalten.«
»Genau. Sie fanden, er müsse ein Pirat sein, weil er mit einem Piraten in einem schönen Auto fuhr. Deshalb haben sie ihn ins Gefängnis gesteckt und mir gesagt, ich müsse fünfzigtausend Dollar bezahlen, um ihn freizubekommen. Der Pirat, der bei ihm im Auto saß, konnte das Geld natürlich selbst bezahlen und ist schon wieder draußen. Mein Bruder sitzt noch.«
»Wart mal – was dachten die denn, woher du die fünfzigtausend Dollar bekommen solls t ?«
»Von euch. Von Geiseln.«
Das verwirrte mich sehr. »Dann weiß die Polizei, dass du ein Pirat bis t ?«
»Ja, natürlich.«
»Warum haben sie nicht dich verhafte t ?«
Er seufzte.
»Ich habe es doch gerade
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