Nummer Drei: Thriller (German Edition)
eine Pistole abgefeuert wurde, können Sie bis auf Weiteres nichts mehr hören, nicht einmal die eigene Stimme.
Die Wahrheit ist: Der Lärm war für die Ohren das Gleiche wie ein grelles weißes Licht für die Augen. Er erfüllte meinen ganzen Kopf. Ich wollte etwas rufen oder Farouz fragen, was passiert sei, aber meine Stimme versagte und war nur noch als fernes Summen zu hören.
Einer der Piraten brach lautlos auf dem Deck zusammen, als hätte ihm jemand die Beine weggetreten. Blut spritzte ihm aus dem Kopf und sammelte sich in einer Lache auf dem Boden.
Farouz schoss weiter, ich ließ ihn keine Sekunde lang aus den Augen. Die Art, wie er schoss, verriet mir, dass er sich damit auskannte. Außerdem war sein Gesicht leer wie das einer Schaufensterpuppe. Das machte mir Angst. Es war, als sei er auf einmal ein ganz anderer Mensch. Ein gefährlicher Mensch.
Ein Pirat.
Die Welt war verstummt, ich hörte nur noch ein Kratzen oder Rauschen wie bei einem Radio, das keinen Sender empfängt. Darunter lag ein dumpfes Knacken, so etwas wie ein Taktschlag, und dann brach auf dem kleinen Boot drüben auf dem schwarzen Wasser ein Feuer aus und beleuchtete für einen Augenblick die ganze Szene: ein Stück helles Meer zwischen uns und dem kleinen Boot, die Silhouetten der Männer vor den Flammen wie bei einem Negativbild und dan n …
Als hätte jemand das Licht ausgeknipst, herrschte wieder tiefe Dunkelheit.
Mir dämmerte, dass das andere Boot explodiert war. Vermutlich hatte eine Kugel, vielleicht sogar aus Farouz’ Pistole, den Tank des Außenbordmotors getroffen.
Unsere Piraten – tatsächlich, ich betrachtete sie inzwischen als unsere persönlichen Piraten – ließen die Waffen sinken und traten zu dem Mann, der zusammengebrochen war. Sie stießen ihn mit den Zehen an. Farouz hatte mich anscheinend völlig vergessen. Er näherte sich den anderen und redete mit Ahmed. Mir schien, als betrachte der Anführer den Toten mit einer Mischung aus Trauer und Verärgerung. Mir war schleierhaft, wie Farouz etwas verstehen und sich mit Ahmed unterhalten konnte. Jedenfalls wandte er sich nicht zu mir um und hatte mich vermutlich vergessen. Vielleicht sollte ich auch verschwinden, damit niemand merkte, dass wir uns unterhalten hatten. Ich warf noch einen Blick auf das Blut, das sich im Licht der Lampe ausbreitete und als rotes Geäder in die Fugen zwischen den Brettern des Decks rann. Ich schlich zum vorderen Teil des Boots und von dort nach drinnen.
»Wo warst du?«, fragte Dad, als ich das Kino betrat. Jedenfalls bildeten seine Lippen die Frage. Außer dem falsch eingestellten Radio hörte ich immer noch nichts. »Was ist da draußen los?«, forschte er weiter und legte mir die Hände auf die Schultern.
»Ich hab Musik gehört.« Ich schwenkte den iPod. »Die Piraten haben mit anderen Leuten auf einem anderen Boot gekämpft. Darüber müssen wir uns keine Sorgen machen.«
»Warum schreist du so?«, fragte die Stiefmutter.
Es war mir gar nicht bewusst gewesen. Ich hatte nicht einmal meine eigenen Worte gehört.
»Sie waren von der Nördlichen Küstenwache«, berichtete Farouz am folgenden Tag.
Wir unterhielten uns mit gedämpften Stimmen, während einer der anderen Piraten die Ziegen mit Heu fütterte und Dad und die Stiefmutter im Esszimmer Scrabble spielten. Wir mussten leise reden. Ich meine, Farouz konnte alles verlieren, wenn er mir zu nahekam. Ich konnte alles verlieren, wenn ich ihm zu nahekam. Ich hatte ihn auf andere Menschen schießen sehen, er hatte nicht einmal gezögert. Ich fühlte mic h … ich weiß auch nicht, als spräche ich gar nicht wirklich mit ihm, wenn ich flüsterte.
Als sei es sicherer.
»Andere Piraten?«, fragte ich.
»Küstenwächter, ja.«
»Abe r … steht ihr nicht auf derselben Seite?«
Er lachte.
»Nein. Wir sind das Südliche Zentrum. Sie sind im Norden. Sie mögen uns nicht. Wir haben hundertvierzig Boote und fast tausend Männer. Geld von unserem Sponsor. Sie haben weniger, deshalb versuchen sie manchmal, die Schiffe zu übernehmen, die wir gekapert haben.«
Mir fiel ein, dass ich immer noch nicht wusste, wer sein Sponsor war, obwohl er ihn schon einmal erwähnt hatte.
»Dein Sponsor? Amir?«
»Ja, Amir.«
»Was bedeutet es, dass er der Sponsor is t ?«
»Er ist ein Küstenwächter, der viel Geld verdient hat. Drei Millionen durch ein griechisches Containerschiff. Jetzt investiert er sein Geld in andere Leute. So funktioniert das.«
Während er erklärte, schafften zwei
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