Nummer Drei: Thriller (German Edition)
flohen.
Später kam Abdirashid ohne die Männer zurück. Farouz sah, dass sein Bruder weinte, aber er hatte auch ein Messer. Es war das Messer, das der Mann aus der Tasche gezogen und ihnen gezeigt hatte. Zuerst fürchtete Farouz, sein Bruder werde mit dem Messer etwas Dummes anstellen, denn in seinen Augen lag ein irrer Glanz wie bei ihrem Vater, wenn er zu viel getrunken hatte, aber Abdirashid steckte das Messer einfach ein.
Was geschah sonst noch auf der Wanderung nach Galkayo? Abdirashid fand Wasser. Farouz erzählte es mir einmal, als wir die Sterne betrachteten. Abdirashid folgte den Spuren der Hyänen, bis er ein Wasserloch erreichte. Er und Farouz tranken, bis ihnen die Bäuche zu platzen drohten. Wahrscheinlich rettete ihnen das Wasser das Leben. Später hörten sie, dass viele Flüchtlinge aus Mogadischu aufgrund des Wassermangels gestorben waren.
Ein anderes Mal sorgte Abdirashid dafür, dass Farouz sich bis Einbruch der Dunkelheit im Unterholz versteckte, statt zur Straße zurückzukehren. Unterdessen kletterte Abdirashid ein Stück entfernt in die niedrigen Äste eines Baums.
»Wenn dir ein Tier nahe genug kommt, rennst du heraus«, sagte er. »Wenn das Tier zwischen dir und mir ist, läufst du auf mich zu. Damit treibst du es zu mir.«
Farouz wartete einige Stunden lang. Er hatte sich hingehockt, und ihm schliefen die Füße ein, aber trotz der Nadelstiche wagte er nicht, sich zu bewegen, weil er sonst die Nachttiere vertrieben hätte. Endlich, als ihm schon die Tränen über die Wangen liefen und er das Gefühl hatte, er könne es keinen Augenblick länger aushalten, tappte eine Hyäne, die anscheinend zum Wasserloch wollte, vor ihm über den hart getrockneten Schlamm.
Man musste sehr verzweifelt sein, um eine Hyäne essen zu wollen.
Farouz wollte sie essen.
Er sprang auf, doch die Beine verkrampften sich, und er stolperte und stürzte. Er fürchtete, Abdirashid werde mit ihm schimpfen, aber die Hyäne lief von selbst in die richtige Richtung. Farouz’ Bruder sprang vom Baum, im Mondlicht blitzte die Klinge.
Also war Abdirashid der Junge, der eine Hyäne getötet hatte, während die alten Geschichten von Hyänen handelten, die Kinder raubten. Er häutete sie und entfachte ein Feuer. Das Fleisch schmeckte widerlich, aber wahrscheinlich rettete ihnen auch dies das Leben.
Später verwandelte Abdirashid sich in einen anderen Jungen. Er trieb sich mit den Piraten herum, obwohl er nicht richtig zu ihnen gehörte. Er trank und nahm Drogen, weil es in Galkayo einen Schwarzmarkt für diese Waren gab, seit sich die Piraten dort aufhielten und durch die Schiffe aus dem Westen westliches Geld erbeuteten.
Er verlor sich. So drückte Farouz es aus. Als sei Abdirashids Körper noch da gewesen, während sein Bewusstsein längst woanders war.
Aber Farouz’ stärkste Erinnerung war der Tag, als Abdirashid mit den Männern weggegangen war, ein Messer ergattert und die Hyäne getötet hatte.
Deshalb brauchte Farouz fünfzigtausend Dollar.
Um seinen Bruder auszulösen.
Weil er zeitlebens nicht wiedergutmachen konnte, was sein Bruder für ihn getan hatte.
22 Wortlos eilten wir über den Durchgang zum Heck der Jacht. Immer noch peitschten Schüsse durch die Nacht. Ich hatte keine Ahnung, warum ich zum Heck lief, aber Farouz bewegte sich in diese Richtung, und ich folgte ihm, ohne darüber nachzudenken.
Dad , dachte ich. So verrückt es auch klingen mag, ich dachte sogar an die Stiefmutter und hoffte, dass sie nicht erschossen worden war. Die Angst war ein Fisch, der in meinem Magen zappelte.
Aber als wir hinten ankamen, begriff ich, dass keiner der Passagiere beteiligt war. Die Piraten – Ahmed, Mohammed und zwei andere, deren Namen ich nicht kannte – knieten auf dem hinteren Deck und schossen aufs Meer. Anfangs erkannte ich nicht, worauf sie zielten, aber dann war dort draußen ebenfalls Mündungsfeuer zu sehen, und ich entdeckte ein kleines Boot, das auf den Wellen tanzte. Die Insassen schossen unablässig zu uns herüber.
Farouz riss meinen Kopf zurück, stieß mich zur Seite, zog die Pistole und richtete sie auf das Meer, um ebenfalls zu schießen. Er war höchstens einen Schritt von mir entfernt. Wenn ich sage, es war laut, dann würden Sie es nicht verstehen. Das liegt zum Teil daran, dass die Filme lügen. Sie zeigen Männer, die schießen und gleichzeitig miteinander reden. Würden die Filme die Wahrheit abbilden, dann gäbe es dort kaum noch Dialoge, denn wenn in Ihrer unmittelbaren Nähe
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