Nummer Drei: Thriller (German Edition)
Hülle, die irgendein Hochstapler durch die Gegend schleppt. Ein Einsiedlerkrebs, der nach Moms Tod das Gehäuse übernommen hat.
Das ist ganz allein seine Schuld. Das rede ich mir ein, während der Jeep tiefer in das Land Somalia hineinfährt.
Auf einem haarsträubenden Pass durchqueren wir die Berge, dann ähnelt die Piste immer mehr einer Straße, bis wir auf der anderen Seite eine Ebene erreichen, durch die so etwas wie ein Highway verläuft. Inzwischen begegnen wir auch anderen Menschen, hin und wieder einem verbeulten Auto oder einem Mann mit einem Eselskarren. Ringsum erstreckt sich die Wüste, die vor Hitze flimmert. In der Ferne entdecke ich eine Baumgruppe, vielleicht eine Oase.
Ich bin in Somalia, denke ich wieder. In der Wüste. Wir fahren zu einem Ort, von dem ich bisher allenfalls gehört habe.
Galkayo. Als wir Stunden später die Wüste verlassen und den Ort erreichen, sieht er genauso aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Niedrige Häuser, die meisten gekalkt, um die Tageshitze abzuhalten. Sie haben flache Dächer, auf denen hier und dort Störche nisten. Was mich überrascht, ist ein Stadtviertel mit Häusern, die man auch in Kalifornien zu sehen bekommt. Sie sind zwei oder drei Stockwerke hoch, vor dem Eingang stehen Säulen. Vor einem der Gebäude parkt ein glänzender, neuer schwarzer Chevrolet, vor einem anderen ein silberner Mercedes.
»Piraten?«, frage ich Farouz.
»Ja«, bestätigt er.
Er hält meine Hand. Er hat die ganze Zeit, als wir hinten im Truck gesessen haben, meine Hand gehalten. Es gibt keine Klimaanlage, deshalb habe ich das Fenster ganz heruntergekurbelt. Der Wind fegt herein, meine Haare flattern.
»Wir kaufen so ein Auto«, sagt er. »Oder wir gehen weg. Wie du willst.«
Wie ein blauer Edelstein hebt sich ein Swimmingpool vom braunen Sand und Staub ab.
»Lass uns ein Haus kaufen«, sage ich. »Ein Haus mit einem Pool. Dann sind wir wie Darod und Dombiro in ihrer Oase.«
»Gut«, stimmt Farouz zu.
Hinter den Häusern der reichen Piraten stehen einstöckige Gebäude. Hier sind viel mehr Menschen auf der Straße. Die meisten sitzen auf dem Boden. Es gibt kleine Geschäfte mit offener Vorderfront und Zeichen in einer Sprache, die ich nicht lesen kann. Es ist schwer zu erkennen, was diese Geschäfte überhaupt verkaufen. Manche Frauen tragen ihre Säuglinge mit Tüchern am Körper. Wir sehen Männer, die ein Bein verloren haben.
»Der Krieg«, erklärt Farouz.
»Welcher Krieg?« Ich weiß ja von ihm, dass es mehrere Kriege gab.
»Oh, ich weiß nicht«, antwortet er. »Es gibt immer irgendeinen Krieg.«
Nach etwa einer halben Stunde hält Ahmed vor einem bestimmten Laden an. Wenigstens glaube ich, dass es um den Laden geht, weil er drinnen verschwindet, wieder auftaucht und uns mit einer ruckartigen Kopfbewegung zu verstehen gibt, wir sollen ihm folgen. Wir steigen aus. Farouz nimmt einen der Geldbeutel mit. Ein Pirat aus dem anderen Pick-up – ich glaube, es ist Asiz – hat den zweiten Beutel. Wieder liegen ihre Finger an den Abzügen der Waffen. Ich bin inzwischen ziemlich überwältigt – von der Hitze, von den starken Gerüchen, von den blökenden und schnatternden Tieren.
Zwei Leute beobachten uns und besonders mich – das weiße Mädchen mit den somalischen Männern –, als wir hineingehen. Dann stehen wir im vergleichsweise finsteren Verkaufsraum inmitten von Dosen und Schachteln mit seltsam aussehendem Essen. Ich erkenne die Packungen mit den Nudeln, die die Piraten in dem großen Topf an Bord stundenlang gekocht und gegessen haben.
Aus dem Zwielicht taucht ein dicker Mann auf, der Ahmed und dann auch Farouz umarmt. Er winkt uns tiefer in den Laden hinein. Hinter dem dunklen Bereich erwartet uns ein hell beleuchteter Raum, der ein Wohnzimmer sein könnte. Auf dem Boden liegt ein Teppich, an der Decke hängt eine nackte Glühbirne. Der dicke Mann zieht sich respektvoll zurück.
Ahmed legt die Sportbeutel auf einen kleinen Tisch, der auf dem Teppich steht, überprüft einen Zettel, den er aus der Hosentasche zieht, und zählt Bündel von Geldscheinen ab. Piraten treten ein, bleiben vor ihm stehen, bekommen ihr Geld und verlassen den Laden wieder. Sie nicken dankbar. Einige kneifen überrascht die Augen zusammen, als sie mich bemerken. Zwei werfen Ahmed fragende Blicke zu, doch der winkt nur ab.
Schließlich sind nur noch Farouz und ich anwesend. Ahmed reicht Farouz einen Beutel mit dem verbliebenen Geld. Die Szene kommt mir vor wie eine
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