Nummer Drei: Thriller (German Edition)
Hubschrauber schwebt über ihnen, während die Piraten die Behältnisse öffnen.
Das Funkgerät knistert, dann sagt jemand etwas auf Somali.
»In Ordnung«, antwortet Ahmed, »in Ordnung.« Er wendet sich an uns. »Drei Millionen«, verkündet er lächelnd. Dann deutet er auf das Beiboot der Jacht, das Tony bereits zu Wasser gelassen hat. »Ihr könnt fahren.«
Also ist der Augenblick gekommen. Ich starre das Rettungsboot an und werfe einen kurzen Blick zu Farouz hinüber.
Das Beiboot.
Farouz.
Das Beiboot.
Farouz.
Das Beiboot is t … die Freiheit. Aber was erwartet mich zu Hause? Wenn ich nun bleiben will, hier unter dieser Sonne, in Reichweite der Sands und der Büsche von Ey l ?
Ich wende mich um und spähe zur Küste hinüber. Ein Geländewagen hüpft über die Dünen und hält neben den Booten, die am Strand liegen. Jemand steigt aus, stützt sich auf die offene Tür und hebt ein Fernglas an die Augen. Ich vermute, es ist der Kontaktmann der Piraten.
Kann ich nicht hierbleiben?, frage ich mich. Ich könnte doch einfach von der Jacht springen und mich zum Strand absetzen.
Beim Schnorcheln war ich ja schon im Wasser. Es ist warm. Ich könnte hineinspringen und schwimmen, in den Geländewagen steigen und mich wegbringen lassen.
»Amy.« Dad schiebt mich vorwärts. »Komm!«
Ich stolpere, dann laufe ich los. Jemand anders als ich setzt mich in Bewegung. Das ist gut, weil dieser Jemand mir die Entscheidung abnimmt. Ja, die Ironie ist mir durchaus bewusst.
Dad hält inne, ehe er in das Beiboot steigt.
»Du musst es nicht tun«, sagt er zur Stiefmutter.
»Doch«, erwidert sie.
Von der starken Sonne hat sie Sommersprossen bekommen, die sich auf der Nase ausbreiten. Sie sieht hübsch damit aus.
Dad seufzt und zögert, dann geht er auf sie zu und küsst sie auf die Wange.
»Danke«, sagt er. »Ich liebe dich dafür.«
Sie lächelt leicht.
»Hast du mich vorher nicht gelieb t ?«
»Doch«, bekräftigt er.
Und was ist mit mir? Was soll ich tun? Also, ich bleibe stehen, aber immerhin lächle ich, und da Sie mich inzwischen kennen, wissen Sie, dass das schon eine ganze Menge ist.
Sie erwidert das Lächeln und strahlt sogar, zeigt mir die weißen Zähne.
»Wenn Sie mal nach Somalia kommen, rufen Sie mich an.« Ahmed bricht den Bann. Es ist eine absurde Szene. Er reicht Dad einen Zettel, auf den er seine Telefonnummer geschrieben hat. »Ich zeige Ihnen das Land und führe Sie herum. Kommen Sie nach Puntland. Es ist sehr schön.«
Dad ist völlig verblüfft.
»Ä h … vielen Dank«, sagt er.
»Ja, danke, Ahmed«, sage ich.
Allmählich begreife ich es. Die Entführung war für ihn nichts Persönliches. Sie war ein Job. Wir hatten viel Geld, er war arm. Er hat nur den Reichtum umverteilt, wie Miss Walker es in Wirtschaftswissenschaften erklärt hat.
Dann überschlagen sich die Ereignisse. Wir sind auf dem Deck, treten über ein Stückchen Meer hinweg, ein Fuß ist oben, der andere unten, und dann sind wir im Beiboot. Die Stiefmutter bleibt bei den Piraten auf der Jacht. Vom Meer steigt etwas kühlere Luft auf und hüllt uns ein. Tony, Damian und Felipe sind auch da. Es gibt Rettungswesten, die wir aber nicht anziehen. Das wäre lächerlich. Wir haben ein Funkgerät, mit dessen Hilfe Tony gerade berichtet, dass wir die Jacht verlassen haben und in Sicherheit sind.
Wartet!, denke ich. Dann spreche ich es laut aus.
»Wartet, wartet!«
»Was ist denn los, Amybärchen?«, fragt Dad.
Ich stehe auf und klettere wieder auf die Jacht. Es wackelt, fast falle ich hin. Die ganze Zeit fragt Dad mich, was los sei. Ich gehe auf die Stiefmutter zu.
»Fahr du mit Dad!«, sage ich zu ihr. »Ich übernehme das. Ich bin der Kollateralschaden.«
»Mach dich nicht lächerlich!«, erwidert die Stiefmutter. »Du bist noch ein Kind, du kannst das nicht.«
»Ich kann«, widerspreche ich. »Ich bin hier sogar sicherer als jeder andere.« Dabei blicke ich Farouz an.
»Was? Warum?«
»Das verstehst du nicht. Geh bitte! Steig ins Boot! Ich komme bald nach.«
»Was ist da los?«, ruft Tony vom Boot herauf. »Warum dauert das so lange?«
»Amy will bei ihnen bleiben«, erklärt die Stiefmutter. »Sie will mit mir tauschen.«
»Das kommt nicht infrage«, widerspricht Dad.
Ich stoße die Stiefmutter zum Boot.
»Bitte«, sage ich. »Bitte. So ist es einfacher.«
Schließlich stolpert sie zum Beiboot und steigt ein. Dads Gesicht ist rot angelaufen, Speichel spritzt ihm aus dem Mund.
»Amy Fields, komm sofort hierher!«,
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