Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Titel: Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
Vom Netzwerk:
Bevor ich nach Cornwall weiterfuhr, warf ich meine Zigaretten weg. Erst als ich Stunden später in absoluter Finsternis Pendarlin erreichte, gelang es mir, mich einigermaßen zu entspannen.
     
    Am Morgen hatte der Wind sich gelegt. Ich wachte erst spät auf und entdeckte, dass es über Nacht gefroren haben musste. Die Sonne schien, wenn auch nur schwach. Ich brühte mir einen starken Kaffee auf und schaltete Radio 3 ein. Dann aß ich ein paar Cornflakes, bevor ich Digby hinausließ.
    Ich sah ihm zu, wie er imaginären Schatten nachjagte und seinen Schwanz fing. Er rannte im Zickzack über die Wiese, und ich freute mich, dass er endlich wieder einmal frei herumtoben konnte. Das Leben in London machte dem armen alten Hund wirklich zu schaffen. Als ich mich umwandte, um wieder ins Haus zu gehen, bemerkte ich mit Befremden die Reifenspuren auf dem gefrorenen Gras. Wenn doch dieser verdammte Postbote nicht ständig über die Wiese fahren würde! Ich suchte hinter der Eingangstür nach Briefen, fand aber nur eine alte Postkarte von den Gaswerken, auf der angekündigt wurde, dass der Gasableser vorbeikommen würde. Der Termin wäre letzte Woche gewesen. Wieder beschlich mich ein komisches Gefühl, aber ich schüttelte es ab und ging mich ankleiden.
    Unter dem weichen, kalkweißen Himmel, der aussah, als könne man mit einem Löffel den Rahm abschöpfen, fuhr ich die schmalen Landstraßen nach Pentire Point hinunter. Die Landschaft bot sich meinem Auge mit der kargen Erhabenheit eines Dezembermorgens dar. Die Schafe standen auf den Weiden, als hätte man kleine, schmutzige Baumwollknäuel ausgestreut. Die Landzunge wurde vom Nebel eingehüllt, der sich als zarter Schleier über die Hügel zog und sie verschwimmen ließ. Als ich den Wagen vor dem letzten Bauernhof stehen ließ, hatte er sich aufgelöst. Der Frost hatte die aufgeweichte Erde erhärtet, sodass das Gehen mir leichtfiel. Einige der Pfützen allerdings waren so tief, dass ich darüberspringen musste. Das Wasser spritzte hoch, und ich schlitterte durch den Schlamm, während sich wilde Brombeerzweige in meine Hose hakten. Ich stieg den Hügel hinauf, bis ich merkte, wie hungrig ich war. Ein Schwarm Vögel flatterte auf und hoch in den Himmel. Das sah so hoffnungsvoll aus, dass ich unwillkürlich lächeln musste.
    »He, Dig, Zeit zum Mittagessen, oder?« Als ich mich umdrehte, sah ich eine Gestalt im blauen Anorak, die auf uns zusteuerte. Noch recht weit weg, auf der anderen Seite der Klippe. Sonst war niemand hier. Nur Digby verbellte gelegentlich einen Vogelschwarm, der über uns dahinzog. Die Stille war unglaublich. Zum ersten Mal seit vielen Tagen fühlte ich mich im Einklang mit mir selbst.
    Die Gestalt im blauen Anorak war verschwunden. Abgesehen von ein paar winzigen braunen Kühen, die in der Ferne an den schachbrettgemusterten Hängen der Hügel zu kleben schienen, waren wir allein auf der Welt. Ich kletterte weiter hinauf und erreichte den Punkt, an dem der Weg sich verengte und auf die steil abfallende Klippe zuführte. Plötzlich stand da der Mann, ohne Warnung, und versperrte mir den Weg. Ich hätte fast aufgeschrien, so erschrocken war ich, da er buchstäblich aus dem Nichts aufzutauchen schien.
    »Mein Gott, entschuldigen Sie bitte«, sagte ich und lachte unsicher, während meine Hand zu meinem klopfenden Herzen wanderte. »Das war aber ein dramatischer Auftritt. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Sie so nah waren.«
    »Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Er trug die blaue Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Mit seinen grauen Locken, die darunter hervorlugten, sah er aus wie ein alter Kobold. Er betrachtete Digby, der zwischen unseren Füßen hin und her wuselte. »Hübscher Hund. Rassetier, nicht wahr? Ein Terrier?«
    »Ja, ein Border Terrier«, antwortete ich, während ich um den Mann herumging. Es kribbelte in meinem Bauch, als ich so nah am Abgrund stand und versuchte, nicht in die wilde See zu schauen, die gegen die riesigen Felsen brandete.
    Der Mann griff nach meinem Arm und hielt mich fest. Die brüske Bewegung ließ fast seinen Anorak reißen.
    »Jetzt habe ich Ihr Leben gerettet«, witzelte er.
    Unsicher sah ich ihn an. Die Angst schlug ihre Klauen in mein Inneres, und so schüttelte ich seinen Arm ab und beeilte mich wegzukommen - ein wenig schneller als gewöhnlich. Auch mein Herz schlug wie wild. Erst da wurde mir klar, wie einsam es hier war und wie dumm von mir, ausgerechnet hier spazieren zu gehen. Ich hätte am Strand bleiben sollen, wo

Weitere Kostenlose Bücher